Superhelden-Psychodrama in Fortführung von „Unbreakable“ (2000) und „Split“ (2016): In einer psychiatrischen Anstalt kreuzen sich die Wege von David Dunn (Bruce Willis), Mr. Glass (Samuel L. Jackson) und Kevin Wendell Crumb (James McAvoy).
Die Psychiaterin Ellie Staple hat sich auf Patienten spezialisiert, die sich für Superhelden halten. Die Obsession für Comics und ihre mit übermenschlichen Kräften begabten Figuren, so will sie ihren drei Härtefällen Elijah Price, David Dunn und Kevin Wendell Crumb klarmachen, ist vor allem eine Kompensation. Sie entspringt dem Bedürfnis, den eigenen Schwächen und Traumata zu entkommen - die Sehnsucht nach Macht oder Unverwundbarkeit kennt insbesondere der, der verwundet wurde.
Die Geburt des Superhelden aus Schwäche und Angst: Viele gute Comicverfilmungen reflektieren das, lassen sich sozusagen auf die pathologischen Seiten ihrer Figuren ein, etwa Christopher Nolans „Batman“-Trilogie, die „X-Men“- oder die „Iron Man“-Filme. Immer wieder geht damit auch die Frage nach der Legitimität von Superhelden einher: Ist ihr Kampf gegen das „Böse“ wirklich heroisch oder nicht vielmehr die Überkompensierung verletzter Egos, eine Selbstermächtigung, die eine demokratische Gesellschaft keinesfalls dulden kann?
Kein Credit für ungläubige Skeptiker
Regisseur M. Night Shyamalan greift diese Genre-Diskurse in „Glass“ auf. Allerdings schwant einem bald, dass die Psychiaterin mit ihren kritischen Fragen bei ihm keine guten Karten haben wird, auch, weil man vor Augen hat, was ihrer Berufskollegin im Vorgängerfilm „Split“(2016) passierte. Vor allem aber, weil Shyamalan für ungläubige Skeptiker generell nicht viel übrig hat. In „Unbreakable“ aus dem Jahr 2000, als der Comic-Helden-Boom mit der ersten „X-Men“-Verfilmung gerade erst anhob, verknüpft er keine politischen oder psychologischen Subtexte mit der Thematisierung von Superhelden und -schurken, sondern religiöse. Da ging es ums Auserwähltsein, um Berufung und Glauben. In „Glass“ greift Shyamalan das wieder auf – allerdings in einer wesentlich weniger überzeugenden Weise.
Als sich am Ende von „Split“ in einer kleinen Post-Credit-Szene die Erzählwelt um den an multipler Persönlichkeitsstörung leidenden Entführer Kevin Wendell Crumb, unter dessen vielen Ichs sich auch ein übermenschlich starkes „Biest“ findet, mit der um den unzerbrechlichen David Dunn und den diabolischen Mastermind Elijah Price aus „Unbreakable“ kreuzte, schien das eine Steilvorlage für eine interessante Fortschreibung zu sein. Da der psychopathische Crumb am Ende von „Split“ noch auf freiem Fuß war, glaubte man sich auf ein spannendes Kräftemessen mit dem „reluctant hero“ David Dunn freuen zu können.
Gipfeltreffen in der Anstalt
Zu Beginn von „Glass“ scheint das auch eingelöst zu werden: Dunn arbeitet zwar noch immer in der Security-Branche, mittlerweile mit einem eigenen Geschäft für entsprechendes Equipment, und hat seinen herangewachsenen Sohn Joseph an der Seite; nachts aber ist er im dunkelgrünen Regenponcho als „The Overseer“ unterwegs, um Übeltätern das Leben schwer zu machen; Dunn hat also seine körperliche Unversehrbarkeit als Berufung akzeptiert, das Böse zu bekämpfen. Als erneut Mädchen verschwinden und offensichtlich „Das Biest“ wieder zugeschlagen hat, nimmt Dunn die Spur auf, wird fündig und schafft es sogar, Crumb zu stellen – nur um kurz darauf mitsamt seinem Kontrahenten verhaftet und in eine psychiatrische Anstalt gesteckt zu werden, wo auch schon seine einstige Nemesis Elijah Price einsitzt und vor sich hinvegetiert. Alle drei werden von der Psychiaterin Staple behandelt. Bis die Therapie eine haarsträubende Wendung nimmt.
Zunächst scheint es interessant, dass Shyamalan die Thriller-Pfade verlässt und die Protagonisten mitsamt den Bösewichten einer psychiatrischen Behandlung unterzieht. In der Anstalt verliert der Film allerdings schnell an Schwung. Zwar spielt sich James McAvoy als Crumb erneut die Seele aus dem Leib, wenn er die unterschiedlichen Ichs auftreten lässt. Doch die Inszenierung verschafft ihm und den anderen Hauptfiguren nicht genügend Interaktionen, die die Figuren interessant weiter entwickeln würden. Stattdessen lässt Shyamalan jeden Protagonisten das, um was es in „Unbreakable“ und „Split“ ging, schlicht noch einmal wiederholen: Während das Mädchen Casey erneut auftaucht, das Crumb in „Split“ entführte, und ein weiterer Kampf zwischen seinen unterschiedlichen Persönlichkeitsteilen um seine Seele anhebt, während Dunn wieder an seiner Berufung zweifelt und – Achtung Spoiler – Mr. Glass sich wieder als sinistrer Mastermind entpuppt, bereiten bedeutungsschwangere Symbole (der Turmbau zu Babel!) einmal mehr einen „Sixth Sense“-mäßigen Plot-Twist vor. Der entpuppt sich dann allerdings als so tumb, dass er für den Leerlauf zuvor nicht entschädigen kann.
In einer Szene verbiegt der von Bruce Willis gespielte Dunn eine dicke Metallstange, um eine Tür zu verriegeln. Ähnlich gewaltsam zurechtgebogen wirkt letztlich auch der Plot, um auf Biegen und Brechen in Shyamalans finale „Heilsbotschaft“ zu passen. Das ist insbesondere für die Figuren Crumb, Dunn und Price sehr schade, denen man ein spritzigeres Gipfeltreffen gegönnt hätte. Und auch für die Psychiaterin Dr. Staple, die eigentlich die richtigen Fragen stellt.