Josef Urbach - Lost Art

Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 87 Minuten

Regie: Tilman Urbach

Auf der Suche nach den Gemälden seines Großonkels Josef Urbach (1889-1973), die von den Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmt wurden, zeichnet der Filmemacher das Schicksal jüdischer Kunstsammler und die zwielichtige Rolle von NS-Händlern wie etwa Hildebrand Gurlitt, Bernhard Böhmer, Karl Buchholz oder Ferdinand Möller nach, die die wertvollen Bilder im Auftrag der Machthaber ins Ausland verkauften. Der klug aufgebaute, sehr detaillierte Film ist ein wichtiger Beitrag zur Restitutionsdebatte und dem generellen Umgang mit „Raubkunst“. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Modofilm
Regie
Tilman Urbach
Buch
Tilman Urbach
Kamera
Markus Schwemin
Musik
Ina Meredi Arakelian
Schnitt
Anja von Rüxleben
Länge
87 Minuten
Kinostart
29.11.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Der Filmemacher Tilman Urbach begibt sich auf die Suche nach Gemälden seines Großonkels Josef Urbach, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmt wurden. Ein wichtiger Beitrag zur Restitutionsdebatte und dem generellen Umgang mit „Raubkunst“.

Mit geübten Bewegungen tropft und streicht der ältere Herr Aquarellfarbe aufs Papier. Ein Stillleben entsteht. Ein Tisch, eine Vase, darin ein Strauß noch halb in Papier eingewickelter, feuerroter Blumen. Der Maler heißt Walter Urbach (1925-2018). Im Jahr 2015 hat sein Sohn, der Filmemacher Tilman Urbach, das Filmporträt „Mohnmaler“ über seinen Künstlervater gedreht. Im gleichen Jahr kam auch Urbachs schöne Dokumentation über einen weit bekannteren Künstler ins Kino: „Gotthard Graubner – Farb-Raum-Körper“. Nun startet ein weiterer Künstlerfilm von Urbach, in dem sein jüngst verstorbener Vater nur eine Nebenrolle spielt. Denn das Motiv des in expressionistisch „falscher“ Perspektive gemalten Blumen-Arrangements stammt ursprünglich von Urbachs Großonkel Josef Urbach. Dessen Neffe Walter, eigentlich ein abstrakter Maler, reproduziert das Stillleben, ursprünglich ein Ölbild, vor der Kamera aus dem Gedächtnis. Das Originalgemälde ist verschwunden, wie so viele andere Werke von Josef Urbach.

Wie der Titel „Josef Urbach - Lost Art“ schon andeutet, geht es nicht allein um Leben und Werk eines Malers und Holzschnitt-Meisters (1889-1973), der zu den Rheinischen Expressionisten gezählt wird und sich in den 1920er-Jahren in Richtung Neue Sachlichkeit entwickelte. 1923 wurde der in Neuss geborene Josef Urbach zum Professor an der Essener Folkwangschule ernannt. Urbach, der sich seit einer Paris-Reise 1910 ganz der Moderne verschrieben hatte, war wohl ein Nazi-Gegner, trat nach 1933 aber doch in die Reichskammer der bildenden Künstler ein, um weiter öffentlich ausstellen zu können. Auch seine Lehrtätigkeit in Essen setzte er fort, auch nach dem Krieg. Zwei seiner Arbeiten zählen zu den über 1400 Werken, die von den Nationalsozialisten 1937 aus dem Essener Museum Folkwang als „entartet“ beschlagnahmt wurden. In der Reichspogromnacht am 8. November 1938 wurden viele seiner Gemälde in jüdischen Sammlungen zerstört oder geraubt.

Der Film rückt die Enteignung jüdischer Kunstbesitzer in den Fokus

Man erfährt nicht viel über die Persönlichkeit des Künstlers, der als dandyhaft geschildert wird und Pferderennbahnen wohl nicht nur als künstlerisches Motiv liebte. Vielmehr rückt der Filmemacher, angeregt durch die Schlagzeilen im Fall Gurlitt, das Schicksal von Juden im Nationalsozialismus und die Enteignung ihres (Kunst-)Besitzes in den Fokus. Schließlich waren es vier jüdische Familien, Abel, Levy, Simon, Stern, denen sein Großonkel viel verdankte; sie finanzierten dem jungen Künstler eine Studienreise nach Italien und sammelten seine Werke.

„Josef Urbach - Lost Art“ ist eine Reportage über die Suche nach verschwundenen Bildern, aber vor allem ein Film der Begegnungen mit den Nachkommen der NS-Opfer. Im niederländischen Alkmaar trifft Tilman Urbach Thomas Simon, den Großneffen von Otto Simon. Der Direktor der Holz- und Rahmenfabrik Döllken, dessen von Urbach gemaltes Porträt offenbar nur noch als Schwarz-weiß-Reproduktion existiert, starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ein anderes Ölbildnis, das der Filmemacher zunächst nur von einem Foto her kennt, kann Urbach in Südschweden ausfindig machen. Es ist das Porträt der Essener Frauen- und Bürgerrechtlerin Frida Levy. Sie wurde 1942 nach Riga deportiert und kam unter ungeklärten Umständen ums Leben. Das Bild hängt im Haus ihres Enkels in Schweden.

Warum in jüdischen Familien so wenig über die NS-Zeit gesprochen wurde, wird Klaus Levy gefragt. Man wollte vergessen, baute sich lieber ein neues Leben auf, so die Antwort des Enkels. Verdrängte Schrecken, verbrannte Unterlagen, verschwundene Bilder, geraubte Kunst. Die Dunkelziffer der Werke moderner Kunst, die sich heute zu Unrecht in öffentlichen und privaten Sammlungen befinden, muss riesig sein. „Josef Urbach: Lost Art“ ist ein wichtiger Film zur Restitutionsdebatte, weil der Film auch deutlich macht, wie dünn die Faktenlage oft ist, wie schwer es die rechtmäßigen Erben haben, ihre Besitzrechte nachzuweisen.

Die Rolle von Gurlitt & co. wird gestreift

Im Zusammenhang mit der Suche nach den als „entartet“ eingestuften Urbach-Werken aus dem Folkwang-Museum streift Tilman Urbach auch die Rolle der vier Kunsthändler, die von den Nazis beauftragt waren, einen Teil der „entarteten“ Kunst ins Ausland zu verkaufen: Bernhard Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller. Buchholz, der wahrscheinlich das verschollene Urbach-Gemälde „Pferdeschwemme“ bekam, wird heute aufgrund seines Einsatzes für Juden positiver beurteilt als noch vor wenigen Jahren, während Gurlitt durch die inzwischen aufgedeckten Machenschaften stärker ins Zwielicht geraten ist.

„Lost Art“, die Täter, die Seilschaften, die Opfer: ein hochinteressanter Komplex, von dem Tilman Urbach freilich nur einige Facetten zeigen kann. Wer mit der historischen Materie nicht vertraut ist, der mag angesichts der vielen Namen mitunter den Faden verlieren, aber das ist weniger ein strukturelles Problem des (klug aufgebauten) Films, sondern eher den verwickelten Verhältnissen geschuldet. In Zeiten, in denen von der Neuen Rechten krude, besorgniserregende Kulturdebatten geführt werden, ist die Aktualität eines Film wie „Josef Urbach - Lost Art“ erst recht nicht zu überschätzen.

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