Geschmeidiger, glänzend besetzter Ensemblefilm über Hamburger Großstädter von Sandra Nettelbeck, der als eine Art Kaleidoskop aus Trauer, Wut, Hoffnung und Zuversicht die Kraft gemeinsamen Redens auslotet.
Es gibt Dutzende Ensemblefilme wie Robert Altmans „Short Cuts“, die sich über ein lokales Beziehungsgeflecht verorten, obwohl sie an Personen gebunden sind. Auch „Was uns nicht umbringt“ von Sandra Nettelbeck weckt sogleich Erinnerungen an „Short Cuts“. Wobei sich die Assoziationen weniger filmisch als erzählerisch ergeben.
Richtig wahrgenommen hatte man Nettelbeck erstmals im Jahr 2001 mit „Bella Martha“, in dem sich Martina Gedeck, gläsern-fragil und zugleich bärenstark, in der Rolle einer resoluten Küchenchefin plötzlich um die achtjährige Tochter ihrer verstorbenen Schwester kümmern muss. Der erzählerische Sog des Films, in dem Nettelbeck Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat, zog ebenso in Bann wie das Nichterschrecken vor schwierigen Situationen und ernsten Themen. „Bella Martha“ wurde unter dem Titel „Rezept zum Verlieben“ in Hollywood mäßig gut neuverfilmt. Auch Nettelbeck zog es vorübergehend nach Hollywood. Dort realisierte sie zwei Filme, „Helen“ (2009) und „Mr. Morgan’s Last Love“ (2013), bevor es sie, zunächst als Drehbuchautorin, wieder in heimatliche Gefilde zog. Ihre fünfte Regiearbeit fürs Kino, „Was uns nicht umbringt“, spielt wie „Bella Martha“ in Nettelbecks Heimatstadt Hamburg.
Auch der Psychotherapeut aus „Bella Martha“ ist wieder da, Maximilian Lang, entspannt intensiv gespielt von August Zirner. Ein Mann in den Fünfzigern, seit einer kleinen Weile geschieden, beruflich passioniert. Nach vielen Berufsjahren ist er ein wenig erschöpft. Sich immer nur mit den Problemen und der Trauer der anderen herumzuschlagen, sei irgendwann zu viel, heißt es in einem Dialog mit einem Klienten, dem Bestatter Mark. Ob es denn immer für alles eine Lösung gäbe?
Ein Personenreigen in der grauen Stadtlandschaft
Lang hat in „Bella Martha“ die Köchin therapiert; in „Was uns nicht umbringt“ steht er selbst im Zentrum. In seiner Praxis beziehungsweise in seiner Person laufen die Fäden des breitgefächerten Personenreigens zusammen. Sie werden lose weiterverknüpfet in der nicht selten grau verhangenen Hamburger Stadtlandschaft: in Kaffeehäusern, Bars und Restaurants, in denen sich die Protagonisten treffen. In den Gängen des Konservatoriums, in denen Max auf seine ältere Tochter Eleonor wartet, wobei er dort manchmal seiner Patientin Sophie begegnet. Auf den Friedhöfen, über die der Bestatter seine Kundin Isabelle führt, weil die, traumatisiert vom Kriegstod ihres Lebenspartners, sich ihre letzte Ruhestätte selbst auswählen will. An der Universität, wo Max’ Ex-Frau Loretta endlich ihr Medizinstudium abschließen will und dabei mit einem Dozenten eine Affäre eingeht, aus der mehr wird. Nicht zu vergessen der Zoo Hagenbeck, das Revier des liebenswert-schrulligsten Paares dieses Films, dem Tierpfleger Hannes und seiner autistischen Mitarbeiterin Sunny, die täglich mehrmals die ganze Pinguinschar zählt.
Er kündige, sagt Hannes, als ihm der Direktor mitteilt, dass er Sunny aus Spargründen entlassen will, denn beide zugleich kann man nicht entlassen. „Draußen“ habe Sunny keine Chance. So einer ist der Hannes, großartig gespielt von Bjarne Mädel, ein herzensguter, geduldiger Kerl, der nur laut wird, als ihm Sunny nebenbei eröffnet, dass sie schwanger ist, das Kind aber „wegmachen“ will, weil sie sich nicht vorstellen könne, Mutter zu werden. „Auch wenn du das möchtest, kannst du nicht immer allein sein, und du kannst auch nicht immer alles alleine bestimmen, weil andere auch etwas bestimmen wollen“, entgegnet Hannes darauf.
Ein dichtes, mehrfach geknüpftes Beziehungsnetz
„Was uns nicht umbringt“ ist ein Film voller geschmeidig-wahrhaftiger Sätze. Doch der Alltag und das Leben, zu dem neben dem Schwanger-Werden auch das Sterben gehört, geht unabhängig davon weiter, was auch immer die Menschen sagen. Max hört ihnen in seiner Praxis gemeinsam mit dem „melancholischsten“ Hund der Welt zu, den er sich „nach 19 Jahren reiflicher Überlegung“ angeschafft hat – und der seinem traurigsten Patienten sehr viel mehr anhängt als ihm selbst. Das Beziehungsnetz ist sehr dicht und zum Teil doppelt verknüpft; der Titel ist Programm.
Eng entlang der Wirklichkeit hat Nettelbeck, von der auch das Drehbuch stammt, diesen Film geformt, mit kleinen Verhängnissen und großen Hindernissen, die den Menschen begegnen, auch den dadurch hervorgerufenen Gefühlen. Ein Film, gestimmt in Moll. Trotzdem, und darin zeigt sich Nettelbecks Talent, verströmt „Was uns nicht umbringt“ keine Bedrückung, sondern eine Zuversicht, die aus dem Wissen resultiert, dass die Zeit vielleicht nicht jede Wunde heilen lässt, dass aber im Reden miteinander sich Perspektiven manchmal verrücken lassen.
Es gibt zum Ende kein Erdbeben wie in „Short Cuts“. Das ist auch nicht nötig, denn die Dinge und die Verhältnisse der Figuren untereinander haben sich kaum merklich auch so verändert. Wenn am Schluss Max nochmals Sophie über den Weg läuft, der er näher als statthaft und doch nicht nahe gekommen ist, möchte man zu gerne wissen, wie es mit den beiden und all den anderen, die bis in die kleinste Rolle treffend besetzt und gut gespielt sind, weitergeht.