Genesis 2.0
Dokumentarfilm | Schweiz 2018 | 113 Minuten
Regie: Christian Frei
Filmdaten
- Originaltitel
- GENESIS 2.0
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Christian Frei Filmprod.
- Regie
- Christian Frei · Maxim Arbugaev
- Buch
- Christian Frei
- Kamera
- Maxim Arbugaev · Vladimir Egorov · Peter Indergand
- Musik
- Eduard Artemev · Max Richter
- Schnitt
- Thomas Bachmann · Christian Frei
- Länge
- 113 Minuten
- Kinostart
- 17.01.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Kühnes dokumentarisches Essay, das die Versuche, ein prähistorisches Wollmammut aus Resten seiner DNA eines Tages wiedererstehen zu lassen, mit einer imposanten Bild- und Toncollage aus cleaner Wissenschaft und den harten Bedingungen jakutischer Elfenbeinjäger umspielt.
Am Anfang steht die Jagd nach uralten Mammutstoßzähnen im arktischen Ozean. In der Unwirtlichkeit einer sibirischen Insel inmitten der Arktis stochert eine Handvoll dick vermummter Männer in Tarnkleidung nach dem „weißen Gold“, das in der menschenleeren Urlandschaft Stück für Stück an die Oberfläche dräut. Schuld daran ist die Erderwärmung, durch die der Permafrost zurückgeht und tonnenweise die Gebeine von Mammuts freigelegt werden.
Unter den Jakuten herrscht Goldgräberstimmung. Die Männer versuchen sich in dieser gottverlassenen Gegend als regelrechte Glücksritter und haben dafür Frauen und Kinder zu Hause zurückgelassen, wofür der Kameramann Maxim Arbugaev atemberaubende Bilder findet, die Assoziationen an die Science-Fiction-Welten von Andrej Tarkowski und Andrzej Zulawski wecken.
Eine Million für einen Stoßzahn
Was diese seltsam aus der Zeit gefallenen Männer verbindet, ist die Hoffnung auf einen großen Coup. Auf dem chinesischen Schwarzmarkt werden astronomische Summen bis zu einer Million Dollar pro Stoßzahn bezahlt. Damit winkt die Chance des gesellschaftlichen Aufstiegs: quasi über Nacht, wofür die meisten Glückssucher die karge Kost wie auch die nackte Angst ums Überleben in Kauf nehmen. Es stört die Männer nicht, wenn einmal sogar drei Eisbären in nächster Nähe zu erkennen sind oder die spartanischen Vorräte wieder einmal zu Ende gehen.
Bei ihrer beschwerlichen Suche nach dem Elfenbein graben die archaisch anmutenden Jäger manchmal ganze Knochen unter dicken Erd-, Eis- und Steinschichten aus. Oft stoßen sie aber nur auf poröse Skelettsplitter, die nichts einbringen. In seltenen Fällen entdecken sie zusammenhängende Fellteile. Und bei einem bisher einzigartigen Fund konnten die Männer trotz äußerst widriger Klimabedingungen sogar den beinahe vollständig erhaltenen Korpus eines 30.000 Jahre alten Wollhaarmammuts bergen, der weltweite Beachtung fand – und sogleich auf das massive Interesse zahlreicher Genetik-Experten aus China und den USA stieß.
Auf der Suche nach dem „Mammut-Baby“
Denn die internationale Molekularbiologie arbeitet in Boston (USA), Seoul (Südkorea) oder Shenzhen (China) in gigantischen Labors und DNA-Datenbanken längst an der titelgebenden „Genesis 2.0“. Molekularbiologen wie George Church von der Harvard University oder der einst gefeierte Stammzellenforscher Woo Suk Hwang, der mit gefälschten Daten im Jahr 2005 einen Forschungsskandal provozierte, arbeiten mit Hunderten von Mitarbeitern an der Neuschöpfung des Lebens. Unabhängig davon, ob es sich um geklonte Hundewelpen handelt oder den Versuch, eine lebendige Zelle in uraltem Mammutblut zu finden, um ein „Mammut-Baby“ zu kreieren.
„Oft werde ich gefragt, ob wir Wissenschaftler Gott spielen“, lautet einer der keinesfalls ironisch formulierten Sätze aus Woo Suk Hwangs Mund, der als CEO der größten Klonfabrik der Welt, der „Sooam Biotech Research Foundation“ in Seoul, seit 2005 bereits 895 Hunde geklont hat. Er und seine Mitarbeiter sprechen davon, dass man in der Klontechnik schon weit vorangekommen ist, in den nächsten Jahrzehnten aber wahre Quantensprünge erwarte. Moralische Zweifel an ihrem Tun und Handeln werden gegenüber westlichen Besuchern einfach weggelächelt.
Was bei dem Schriftsteller J.G. Ballard einst noch utopisch-positivistisch klang („Die Feier der Möglichkeiten steht im Zentrum von Science Fiction.“) entwickelt sich in dem dokumentarischen Filmessay von Christian Frei über die Zukunft des irdischen Lebens und seiner zu Grunde liegenden DNA-Strukturen sequenzweise zu einem ebenso mystizistischem wie dystopischen Setting, das lange nachwirkt und viele Fragen aufwirft: Wie weit kann man und darf man in der Stammzellenforschung gehen? Rückt der Traum, unendlich leben zu können, in wenigen Jahrzehnten tatsächlich in greifbare Nähe? Und: Wollen wir Menschen das wirklich?
„Jurassic Park“ ist bald keine Fantasie mehr
Auch formal-ästhetisch verfügt der grandios montierte Film über Blockbuster-Qualitäten mit großen Schauwerten und waghalsigen Twists, die oft nur durch kurze Texteinblendungen entstehen und das Gesehene und Gehörte im eigenen Kopf weiterspinnen lassen. Auf diese Weise untermauert der künstlerisch herausragende Dokumentarfilm, der auch durch seinen ätherisch-pulsierenden Soundtrack von Max Richter und Eduard Artemjew hervorsticht, dass ein „Jurassic Park“-Plot keineswegs nur im Reich der menschlichen Fantasie möglich ist, sondern in hochgesicherten Genetik-Zentren und mit viel Geld aus der Industrie immer konkretere Formen annimmt. In einer seltsamen Mixtur aus Faszination und Gruselstimmung fühlt man Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ nicht mehr allzu fern.
Der imposant fotografierte und dramaturgisch geschickt verwobene Film liefert einen ebenso spannungs- wie facettenreichen Kommentar zur Urfrage nach dem Sinn des Lebens und den inzwischen irreversibel verschobenen Grenzen durch die neuesten Erkenntnisse aus Molekularwissenschaft und Stammzellen-Forschung: Die Zukunft ist jetzt, und die Menschheit steht an der Schwelle zu einer völlig neuen Epoche des Lebens.