Wenn ein Maler einen Film über einen Maler macht, darf man etwas Besonderes erwarten. Wenn allerdings der Maler Julian Schnabel einen Film über Vincent van Gogh dreht, muss man damit rechnen, dass es ein Film jenseits des biografischen Erzählens sein wird. Schon seine früheren Filme „Basquiat“, „Before Night Falls“ oder „Schmetterling und Taucherglocke“ waren mehr als erzählte Geschichten. Sie handelten vielmehr von den Grundlagen der Existenz, dem menschlichen Wesen und der Andersartigkeit der Welt, sobald sie durch die Augen eines Künstlers und erst recht mit den Gestaltungsmitteln eines filmemachenden Malers gesehen wird. Schnabel ist ein sensibler und selbstbewusster Regisseur. Er beschreibt Menschen oder die Welt, ohne sich auch nur im Entferntesten darum zu kümmern, ob sich seine Sehweise von der seiner Mitmenschen unterscheidet. Darin ähnelt er großen Filmemachern wie Luis Buñuel und Michelangelo Antonioni.
Es hat allerdings bis zu „At Eternity’s Gate“ gedauert, bis Schnabel das ideale Objekt fand, um sich verständlich zu machen. Van Gogh, ein Maler wie er selbst, heimgesucht vom Fieber der Kunst, bietet Schnabel die Gelegenheit, sich selbst zu verwirklichen. Schnabel reißt van Goghs Biografie nur an. Er heftet sich mehr an Willem Dafoes glühende Augen und an die hektischen Pinselstriche, mit denen er den Schauspieler van Goghs Bilder nachempfinden lässt. Es ist Schnabels van Gogh, der die Leinwand von der ersten bis zur letzten Einstellung beherrscht; die Details von van Goghs ohnehin sagenumrankter Lebensgeschichte spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Radikale Askese als Drang aus dem Innern
Folgerichtig verweilt die Kamera länger auf Dafoes gegerbtem Gesicht, seinen Bewegungen und Emotionen, auf den wenigen armseligen Utensilien, die den Maler umgeben, und auf den Landschaften, den Bäumen, Feldern, Blumen, insbesondere auch auf dem Licht, als dass sich die Inszenierung wie andere Filmbiografien bei der minuziösen Beschreibung von van Goghs Leben aufhielte.
Schnabel beschäftigt sich nur mit drei Komplexen aus van Goghs Biografie: der Beziehung zu seinem jüngeren Bruder Theo, von dessen finanzieller Unterstützung er seinen Unterhalt bestritt, seiner Freundschaft mit Paul Gauguin und dem Aufenthalt in einer Heilanstalt. Andere überlieferte Ereignisse gehen entweder im Nu vorbei oder werden ganz ausgelassen. Für Schnabels van Gogh haben sie wenig Bedeutung. Sein van Gogh entsteht durch die Radikalität der Selbstbeschränkung, durch die Askese, mit der er sich auf den Künstler konzentriert und auf dessen Kunst, die ersichtlich tief aus seinem Inneren kommt. Dadurch öffnet sich der Film mehr als andere Biografien einer spirituellen Perspektive, die bei der Betrachtung von van Goghs Werk häufig außer Acht gelassen wird.
Im Fieber der Bildwerdung
Willem Dafoe hat vor Drehbeginn lernen müssen, wie man ein Bild malt, Pinselstrich für Pinselstrich, auch, wie man ein Bild wie van Gogh malt. Immer wieder heftet sich der Blick auf den Prozess der Bildwerdung, beginnend mit einem Paar alter, abgetretener Schuhe, die für den Maler in diesem Augenblick wichtiger sind als seine ganze Umgebung, und kulminierend in den leuchtenden Farben seiner blauen Himmel und goldenen Sonnenblumen. Die Bewegungen der Handkamera und die scheinbar fahrigen Pinselstriche werden eins: Schnabel malt seinen Film genauso wie Dafoes van Gogh Bilder malt; das Fieber der Bildwerdung ist identisch; Schnabel fühlt sich wie ein filmischer van Gogh.
Vielleicht muss ein Film wie dieser so arrogant sein, um den Sprung von einer respektvollen Biografie zu einem ekstatischen Porträt zu schaffen. Dann spielt nicht einmal mehr der Altersunterschied zwischen dem Darsteller und seinem Objekt eine Rolle. Van Gogh war 37, als er im Jahr 1890 starb, Dafoe ist 63. Man zieht seine Verkörperung des so viel jüngeren Malers nie in Zweifel, weil die Intensität seiner Körpersprache Schnabels Vorstellung von van Gogh vollkommen entspricht.
Wer in „At Eternity’s Gate“ Dramatik im Stil von Kirk Douglas in „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft“ erwartet, kommt nicht auf seine Kosten. „At Eternity’s Gate“ bewegt sich in anderen Dimensionen. Dank Schnabels Furchtlosigkeit tut er es mit meisterhaften Pinselstrichen.