Eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Robert Seethaler, die dessen Detailgenauigkeit weitgehend übertragen kann. In der Bebilderung der Nazi-Zeit eher konventionell und nicht immer geglückt, insgesamt aber insbesondere dank kongenialer Besetzung ein eindrücklicher Film.
Weißes Licht fällt auf das milchige Seewasser. Die Landschaft, in der sich der 17-jährige Franz Huchel in seinen Träumen bewegt, ist zwar die des heimatlichen Attersees im Salzkammergut, doch ist die Perspektive seltsam verzerrt. Die Bedrohung ist mit Händen zu greifen, wenn Franz selbst auf dem See, der lange sein liebster Aufenthaltsort war, nicht mehr sicher ist. Im Traum wird er nun mit seinem Ruderboot unaufhaltsam von einem Eisberg angezogen, oder ihm droht eine Gefahr von oben aus dem Himmel – erschreckende Bilder, die den Jungen aus dem Schlaf hochschrecken und ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Denn schließlich vermag er kaum zu begreifen, dass solche Seltsamkeiten ganz von allein in seinem Kopf entstehen können.
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Dabei ist der Protagonist aus dem 2012 veröffentlichen Roman „Der Trafikant“ des österreichischen Schriftstellers Robert Seethaler seinem ganzen Wesen nach ein Träumer. Im positiven Sinne, denn damit bewahrt Franz sich auch in Zeiten der Repression seine Individualität, die Fantasie und den Glauben an eine bessere Zukunft. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Wien der historisch folgenreichen Jahre 1937 und 1938, wo der unwissende, aber keineswegs dumme Jugendliche Zeuge ist, wie die Nazis und ihre Ideologie sich ausbreiten, bis hin zur Einverleibung Österreichs durch Nazi-Deutschland, die von seinen Landsleuten überwiegend gefeiert wird.
Die Fähigkeit zum Träumen als Attribut eines Freidenkenden zu deuten, wird von Nikolaus Leytners Verfilmung im Vergleich zur Vorlage nun noch stärker forciert und schlüssig weiter entwickelt: Mit den plastischeren Bildern anstelle der eher diffusen Segmente der Romanträume, aber auch mit hinzuerfundenen traumähnlichen Visionen am helllichten Tag. Immer wieder zeigt der Film in Augenblicken der Gewissensentscheidung den frappanten Kontrast zwischen Vorstellung und Wirklichkeit: Franz sieht deutlich vor sich, wie er aktiv wird und gegen offensichtliches Unrecht angeht, nur um im nächsten Moment zu erkennen, dass er in Wahrheit wieder einmal untätig geblieben ist.
Sigmund Freud lässt grüßen: ein vielschichtges Zeit-Panorama
In vielem anderen hingegen bleibt Leytner bei seiner Adaption eng am Roman und den knappen, prägnanten Schilderungen Seethalers, deren Detailgenauigkeit sich auch im Film vermittelt: In einer anfänglichen Gewitterszene etwa, in der sich Franz unter seiner Bettdecke verkriecht, während zeitgleich der reiche Liebhaber seiner Mutter im See ertrinkt, bei der Ankunft am Bahnhof in Wien, mit der Franz von seiner vergleichsweise behüteten Jugendzeit in die schmutzige städtische Welt mit bereits manifesten braunen Schatten katapultiert wird, und insbesondere mit dem liebevoll zum Leben erweckten Hauptschauplatz der Handlung, der „Trafik“ (d.h. der Tabakhandlung) des Kriegsinvaliden Otto Trsnjek. Die fast zur Geheimwissenschaft verklärte Erforschung der Kundenwünsche zwischen edlen Zigarren, Zeitungen sowie diskret unterm Ladentisch verkauften Pornoheften wird mit sichtlicher Faszination ausgebreitet. Sie verleiht dem Film einen Kern der Wahrhaftigkeit, von dem aus sich die anderen Handlungsstränge entfalten können.
Hierzu gehört die sich langsam entwickelnde Vertrautheit zwischen dem grimmigen, aber Franz freundlich gesinnten Trsnjek und seinem neuen Gehilfen, der miterlebt, wie die Trafik zur Zielscheibe wird, weil ihr Besitzer jüdische und kommunistische Kunden trotz aller Drohungen durch die Nazis von nebenan weiter bedient. Parallel dazu erlebt der 17-Jährige seine erste Liebe mit einer kecken jungen Böhmin, inklusive der Kummererfahrung, dass seine Freundin immer wieder verschwindet und auch mit anderen Männern das Bett teilt. Vor allem jedoch knüpft Franz freundschaftliche Bande zum berühmtesten Kunden der Trafik, der sich von den besorgniserregenden Zeiten nicht sein Rauchervergnügen nehmen lassen will: Niemand anderes als der greise Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud.
Der erzählerische Coup, Freud mit beiläufiger Selbstverständlichkeit zu Franz’ Mentor und Ratgeber in Liebesdingen zu machen, geht im Film durch die kongeniale Besetzung der beiden Rollen glänzend auf: Simon Morzé macht das gutherzige Wesen des jungen Mannes nachdrücklich deutlich, während Bruno Ganz fernab jeder Starallüre den alten Professor mit erkennbaren Zeichen der körperlichen Schwäche und innerlichen Resignation spielt, der sich gleichwohl mit wohlwollender Neugier mit den Sorgen des jungen Burschen vom Land beschäftigt. Dazu kommt die gleichfalls ausgezeichnete Interpretation von Otto Trsnjek durch Johannes Krisch, sodass der Film auf ein wunderbares Trio im Zentrum bauen kann.
Gedankentransfer zur heutigen Zeit
Es sind solche Stärken, durch die sich die „Trafikant“-Verfilmung über die eher konventionell bleibenden (Kino-)Bilder von der Nazi-Zeit erhebt und die auch einigen schwächeren Elementen aus der Vorlage entgegensteuern. Das betrifft zum Beispiel die eher schlichten Frauenfiguren, was im Film zumindest bei Franz’ Mutter etwas ausgeglichen wird, indem beim Postkarten-Briefverkehr zwischen Mutter und Sohn auch ihre Perspektive zu sehen ist. Im weichen Licht, in dem Kameramann Hermann Dunzendorfer die Liebeshandlung in Szene setzt, blitzt mitunter der Gedanke an verkitschte Schönfärberei auf, doch macht dieser Anflug von Überästhetisierung die unausweichliche Wendung zum Tragischen letztlich eindrücklicher und schockierender.
Wo deutschsprachige Filme meist über ihren rekonstruktiven Uniformparaden, dem Gebrüll und der stumpfen Brutalität der Nazis in ihren historischen Rahmen stecken bleiben, gelingt hier tatsächlich der Gedankentransfer zur heutigen Zeit: Am Schicksal von Franz Huchel ist zu sehen, wie unvereinbar Anstand und Gewissen mit politischen Formen und Gruppierungen sind, die Hass, Ausgrenzung und Gewalt propagieren. In diesem Punkt könnte „Der Trafikant“ gar nicht aktueller sein.