Boy meets Girl, Junge liebt Mädchen. Ach, wenn doch alles so einfach wäre. Aber das schönste Mädchen der Welt wird von vielen begehrt; und in der harten Realität und der noch härteren Pubertät gewinnen oft Oberfläche, Aussehen und Unverfrorenheit gegen Feinsinn, Intelligenz und Witz.
Der Regisseur Aron Lehmann hat gemeinsam mit den Autoren Lars Kraume und Judy Horney das Versdrama „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand als High-School-Musical interpretiert. Im Presseheft wird dieses Experiment als „Cyrano de Bergerac meets Fack ju Göhte“ beschrieben. Das trifft es ganz gut. Mit der großen Nase ist hier der schüchterne Cyril ausgestattet, der deshalb stets gehänselt wird und sich darüber sarkastisch-fatalistisch in die Rolle des schulischen Außenseiters gefügt hat. Er flüchtet in die bessere Welt der Bücher – und, heimlich und mit goldener Maske getarnt, in die der Musik. Als „Maskenmann“ gewinnt er erfolgreich Rap-Battles gegen viel ältere und erfahrenere Teilnehmer.
Seine Belesenheit, sein Sprachgefühl, sein Wortwitz und sein Hang zur Poesie sind seine Waffen; Cyranos Duelle sind hier die Battles. Nie gibt er sich zu erkennen: Die Angst vor der Macht der Äußerlichkeiten ist zu groß. Cyril hasst seine Nase, sie steht vermeintlich zwischen ihm und allein schon der Möglichkeit von sozialen Beziehungen. Daran können auch seine liebenden Eltern, insbesondere die von Anke Engelke mit handfester Komik verkörperte Mutter nichts ändern. Von ihr hat Cyril seine große Nase geerbt; im Unterschied zur Gegenwart, so unterstellt Cyril, sei in ihrer Generation die Grausamkeit noch nicht so ausgeprägt gewesen.
Angesichts der unerbittlichen Mobbingkultur, die der Film anschaulich beschreibt, stellt sich mitunter wirklich die Frage, ob früher nicht alles doch ein bisschen besser gewesen ist. Aber die Pubertät ist immer ein Kampf – nicht nur mit sich selbst. Die Grausamkeiten werden jetzt allerdings durch die sozialen Medien multipliziert; das hat sich geändert und spielt auch in „Das schönste Mädchen der Welt“ eine Rolle.
Auf der Klassenfahrt nach Berlin verliebt sich Cyril in die neue Mitschülerin Roxy, die selbstbewusst, emanzipiert und witzig das eingespielte Gefüge der Klassengemeinschaft durcheinanderrüttelt – eine Gemeinschaft, die sich alles andere als gemeinschaftlich verhält und in der jede und jeder innerhalb fester Hierarchien und zugewiesener Rollen agiert. Das Drehbuch schildert das anhand satirisch überzeichneter Stereotypen ziemlich genau: Es gibt den Klassenkasper, den Chef, den Außenseiter, die besten Freundinnen, den Depp.
Letztlich ist es ein Missverständnis, das Roxys Interesse auf den stillen, schönen Rick lenkt. Cyril jedenfalls setzt Rick, mit dem er in der Berliner Jugendherberge das Zimmer teilt, von nun an als seinen „Avatar“ ein und schreibt Roxy Liebesgedichte per Whatsapp von Ricks Handy aus, um sie vor dem Zugriff des Klassenchefs Benno zu bewahren. Rick lässt das widerspruchslos mit sich geschehen – er ist einfach zu „hohl in der Birne“.
Dass Ricks Dummheit als Running Gag konsequent ausgestellt wird, ist eine Schwäche des Films, der ansonsten fast alles richtig macht. Die Nebenfiguren funktionieren als einseitige Stereotype und Sidekicks hervorragend. Rick wird dabei aber zur dritten Hauptfigur; die Verweigerung von Vielschichtigkeit, seine notorische Etikettierung als Lachnummer widerspricht den humanistischen Werten, die im Film vertreten werden.
Ansonsten ist „Das schönste Mädchen der Welt“ eine mitreißende romantische Komödie. Die Inszenierung legt ein Tempo vor, das sich an US-amerikanischen Vorbildern orientiert und die Zuschauer endlich mal nicht unterfordert. Die Dialoge sind zutreffend, originell und witzig, die von Robin Haefs geschriebenen und von den guten Nachwuchsdarstellern selbst performten Songs ausgesprochen poetisch; die Musik von Konstantin Scherer ist eingängiger und liebevoll komponierter Hip Hop.
„Das schönste Mädchen der Welt“ ist auch ein Musical. In bezaubernden Szenen tanzt die Klasse durch Berliner Gemäldesammlungen und Museen, Traumsequenzen lassen Roxy fliegen und erinnern an Baz Luhrmanns „Moulin Rouge“
(fd 35 084).
Girl meets Boy, Mädchen liebt Junge. Zum Glück hat Roxy hier ein bisschen mehr mitzureden als Cyranos Angebetete Roxane. Am Ende könnten dann Feinsinn, Intelligenz und Witz vielleicht sogar gewinnen.