Das italienische Kino scheint seine ambivalente Sicht auf das eigene Land derzeit am besten dadurch zu sublimieren, dass es den trostlosen Zustand in einer barock-grotesken Bilderflut ertränkt. Oder es vereinfacht die unüberschaubaren Verhältnisse und nutzt märchenhafte oder allegorische Formen zur Selbstkritik. So projiziert der Regisseur Matteo Garrone (Porträt des Regisseurs) in „Dogman“ die Handlung in eine namenlose, etwas aus der Zeit gefallene Küstenstadt. Deren Ansicht wirkt ganz im Stil der Pittura Metafisica, als habe man die Gebäude wie Requisiten auf einer unbelebten Bühne platziert. An diesem heruntergekommenen, unwirklichen Ort kommt schon lange niemand mehr vorbei. Wenige Geschäfte reihen sich an der Straße entlang, ihre tristen Vorderansichten und leeren Schaufenster laden nicht zum Verweilen ein, die Nachbarschaft wird von dem Kriminellen Simoncino terrorisiert.
Die Männer vertreiben sich die Zeit vor dem Spielautomaten in einer finsteren Bar und träumen vom großen Gewinn. Wer es sich noch leisten kann, trifft sich zur Mittagszeit im Restaurant zum Essen; abends spielt man gemeinsam Fußball. In der vom Verfall gezeichneten Umgebung mutet es befremdlich an, dass ausgerechnet ein Hundefriseur mit seinem Salon überlebt hat. Seinen Beruf übt Marcello mit Leidenschaft aus. Trotzdem muss er seinen Verdienst mit dunklen Geschäften aufbessern. Marcello verkauft kleine Mengen Kokain oder steht bei Einbrüchen Schmiere. Als er sich jedoch gezwungenermaßen auf einen Handel mit Simoncino einlässt, steht seine Zugehörigkeit zur Klasse der Gewerbetreibenden und seine zärtliche Beziehung zur eigenen Tochter auf dem Spiel. Doch hinter dem schmächtigen Mann verbirgt sich ein David. Unerschrocken fordert er Goliath zum Kampf heraus.
„Dogman“ findet sein Zentrum in der Figur des Marcello, den Marcello Fonte höchst lebendig verkörpert. Der Hundefriseur wird als Typus des nach außen ehrbaren Kleinkriminellen skizziert. Er besitzt ein schlichtes, zuweilen kindliches Gemüt, weist gar schizophrene Züge auf. Der Film richtet seine Aufmerksamkeit auf Marcellos Verhalten und seine Stellung im sozialen Gefüge und charakterisiert es mit Mitteln des Film Noir. Mit Licht und Schatten wird das Wesen seiner Figur expressiv modelliert. Flaue Farben, der stete Regen und die Sicht behindernder Nebel betonen die triste, undurchschaubare Atmosphäre. Denn Marcello steht auf der Kippe. Mit seinem Handwerksbetrieb zählt er zum in Italien noch verbreiteten mittelständischen Kleinunternehmertum, gesellt sich aus Not aber auf die Seite krimineller Organisationen. Naiv glaubt er, dass er besonders clever sei und aus diesen Machenschaften unbeschadet hervorgehen könnte.
Um Marcellos Schrullen zu durchleuchten, spart die Inszenierung nicht mit Komik, Spott und Ironie. Eigentlich ist der Protagonist ja ein herzensguter und sympathischer Mensch, dem die Beziehung zu seiner Tochter und seine Freundschaften über alles gehen. Nur kann er Freund und Feind, Mensch und Tier nicht unterscheiden; geflissentlich übersieht er auch, was Recht ist und wo seine Verantwortung liegt. Als bei einem der Raubzüge ein Hündchen in der Kühltruhe landet, riskiert er sogar sein Leben. Es ist ein lächerlicher Anblick: An einem Wasserrohr klettert er waghalsig bis zum obersten Stock empor, holt das arme Tier aus dem Kühlschrank und belebt es wieder, während er es keineswegs für Unrecht hält, seinen Teil der Beute einzustecken.
Diese Verwirrung darüber, wo das rechte Maß liegt, kommt auch in seinem Kampf gegen Simoncino zum Vorschein: Wer mit einem Kampfhund fertig wird, der bändigt auch einen „Raging Bull“. In seinem Wahn glaubt er, damit sich und die Welt zu erlösen. Eine beeindruckende Charakterstudie, die mit einem gespenstischen Schlussakkord endet.