Kuba 1994: Das US-Handelsembargo lässt keine Waren auf die karibische Insel gelangen; gleichzeitig haben sich die Sowjetunion und das ganze sozialistische Lager aber aufgelöst. Die kubanische Regierung deklariert deshalb eine „Sonderperiode“. Das hat drastische Folgen. Der Alltag wird von Armut und dem Schwarzmarkt dominiert, Zigarren und Rum sind die Handelsware der Krise, Stromausfälle und Hunger an der Tagesordnung.
Davon erzählt „Candelaria – Ein kubanischer Sommer“ exemplarisch mit Blick auf ein altes Ehepaar: die titelgebende Candelaria und ihr Mann Victor Hugo, beide Mitte 70. Sie reden nur noch wenig miteinander, streiten über Altbekanntes, sind aber immer noch zusammen. Beim kargen Abendbrot läuft das Radio im Hintergrund; Fidel Castro spricht über die Weltlage und über die Errungenschaften der Revolution. Vom tropischen Sozialismus sind wie von den 50 Ehejahren indes nur noch die Fotos an der Wand geblieben.
So wie die Revolution schon lange stagniert, ist auch die Liebe der beiden monoton geworden. Kinder haben sie nie gehabt; dafür zieht Candelaria in ihrer Wohnung drei Küken groß, nicht um sie später zu essen, sondern als Kindersatz. Tagsüber arbeitet sie in der Wäscherei eines Luxushotels für ausländische Touristen, und abends tritt sie als Sängerin mit einer Combo gleichaltriger Musiker auf. Victor Hugo arbeitet in der Tabakfabrik. Als verdienter Werktätiger und ehemaliger Baseball-Champion liest er den Kollegen während der Arbeit aus der Parteizeitung vor. Nach Feierabend widmet er sich dem illegalen Verkauf von Luxuszigarren.
Eines Tages, während auf den Straßen erste Demonstrationen gegen das Regime aufflammen, findet Candelaria zwischen den verschmutzten Bettlaken eine Hi8 Videokamera US-amerikanischer Touristen. Ohne genau zu wissen, was sie damit machen will, nimmt sie das Gerät mit nach Hause. Die Kamera bringt eine neue spielerische Energie in ihr Leben; sie verändert auch ihre Beziehung, die alte Liebe flammt wieder auf. Sie experimentieren mit der Kamera, filmen sich gegenseitig beim Tanzen, Singen und Liebe machen. Mit der Liebe kehrt auch ihre Lebenslust zurück. Darüber vergessen sie sogar die tödliche Krankheit, die wie ein Damoklesschwert über ihnen hängt. Doch eines Tages verliert Victor Hugo die Kamera. Voller Wagemut begibt er sich in den gefährlichen „Hormiguero“, den Ameisenhaufen, das größte Hehlerzentrum Havannas. Aber „El Carpintero“, der Oberhehler, hat schon andere Pläne mit ihnen.
Die Veränderungen des kubanischen Alltags nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers haben schon eine Reihe von Filmen reflektiert: von „Reina y Rey“ (1994) des kubanischen Altmeisters Julio García Espinosa über „Der König von Havanna“ (2015) von Agustí Villaronga bis zum Weltraumdrama „Sergio y Sergei“ (2017) von Ernesto Daranas. „Candelaria“ fügt dem ein melancholisches Kammerspiel über die dunkelste Zeit der Karibikinsel Anfang der 1990er-Jahre hinzu. Der kolumbianische Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza hat diese ungewöhnliche Liebesgeschichte in Havanna gedreht. Die Kamera ist ruhig und vermeidet plakative Klischees; selbst im karibischen Licht sind die Farben zurückhaltend.
Die große Stärke des Films sind die Hauptdarsteller Verónica Lynn und Alden Knigth, die ihre komplexen Charaktere liebenswert, aber auch in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit interpretieren. Beide verkörpern Kuba und dessen Wandel: „Du bist so wie dieses Haus“, sagt ein Freund zu Victor Hugo, der sich nach einem Sturz vom Fahrrad gerade wieder erholt: „und dieses Haus ist wie das ganze Land. Völlig im Eimer. Aber keiner kann es zum Einsturz bringen!“ Candelaria verkörpert trotz aller Knappheit, dem Schwarzmarkt und der Massenflucht nach Miami eine reife Lebenslust, in der sich Lebensfreude und Musik miteinander verbinden.
„Candelaria“ lässt sich deshalb als eine Art Bolero über Armut, plötzlichen Reichtum und die Wiederkehr der Liebe beschreiben. Es ist ein Film über Kuba, das Altern, die Vergänglichkeit und den Tod. Denn auch die Liebe und die neue Lebensfreude kann das Ende nicht abwenden, aber erleichtern, wie Victor Hugo resümiert: „Die Seele kann lachen, wenn sie den Tod endlich akzeptiert hat.“