Camino a La Paz
Road Movie | Argentinien/Niederlande/Deutschland 2015 | 86 Minuten
Regie: Francisco Varone
Filmdaten
- Originaltitel
- CAMINO A LA PAZ
- Produktionsland
- Argentinien/Niederlande/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Gema Films/No Problem Cine/Concreto Films/Habbekrats/Hanfgarn & Ufer
- Regie
- Francisco Varone
- Buch
- Francisco Varone
- Kamera
- Cristian Cottet
- Schnitt
- Alberto Ponce · Federico Peretti
- Darsteller
- Rodrigo de la Serna (Sebastián) · Ernesto Suárez (Jalil) · Elisa Carricajo (Jazmín) · María Canale (Selma)
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- 07.06.2018
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Road Movie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Stimmungsvolles Roadmovie über einen Argentinier, der einen alten Muslim ins 3000 Kilometer entfernte La Paz in Bolivien chauffiert und dabei von dessen Religion erfährt.
Seinen alten Peugeot 505 liebt der Autonarr Sebastián geradezu abgöttisch. Den Wagen hat er von seinem Vater geerbt; er ist sein ganzer Stolz. Liebevoll versenkt er sich in die Pflege des wertvollen Stücks, dessen Teile alle noch im Originalzustand erhalten sind. Das Gefährt erweist sich sogar als gewinnbringendes Kapital: Der arbeitslose Mann wird von Privatleuten immer wieder als Chauffeur angeheuert. Ein gutes Zubrot, zumal er gerade frisch verheiratet ist. Als auch seine Frau ihren Job verliert, willigt er in eine Fahrt ein, die ihn 3000 Kilometer von Argentinien bis nach La Paz in Bolivien führt. Er chauffiert einen alten Mann, den gläubigen Moslem Jalil, der viele Gebrechen hat und gezwungen ist, sich abends an ein Dialysegerät anzuschließen. Trotzdem will er von La Paz aus gemeinsam mit seinem Bruder zur Pilgerreise nach Mekka aufbrechen.
Regisseur Francisco Varone macht das Oldtimer-Auto zum Ort aktueller Konflikte en miniature. Ein indifferenter Christ trifft auf einen praktizierenden Moslem, die Vätergeneration prallt auf die der Söhne. Aber die Protagonisten stehen sich nicht unversöhnlich gegenüber, sondern lösen ihr Befremden auf moderate, vernünftige und zu Herzen gehende Weise.
Sebastián gehört der ökonomisch abgeschlagenen Mittelschicht an, die für sich die zentralen Werte, insbesondere den, eine Familie zu gründen, vorerst nicht verwirklichen kann. Vom ökonomischen Überlebenskampf ausgezehrt und geistig entwurzelt, empfinden viele ihre Mitmenschen nur als soziale Zumutung oder als lästige Konkurrenz um knappe Güter. Sebastián trägt all jene Stereotype mit sich, die landläufig mit „Andersgläubigen“ und „Ausländern“ verbunden sind, auch wenn der alte Herr aus einer argentinischen Stadt entstammt. Jalil aber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen gibt er Auskunft über seinen Lebensstil und seine Religion und entkräftet dabei manches Vorurteil.
Roadmovie mit Motiven des Western
Passenderweise hat der Filmemacher für sein Debüt das Format eines Roadmovie gewählt. Es ist das klassische Genre für die Begegnung mit dem „Fremden“. Am Ende kehrt auch Sebastián von seiner Bildungsreise bereichert, klüger und sozial verantwortlicher in die Heimat zurück. Allerdings fällt der erste Teil des Films, in dem er nach einem anfänglichen Schlagabtausch die fremde Religion kennenlernt, recht vorhersehbar, harmonisch-werbend und didaktisch aus. Jalil wird zum väterlichen Mentor, der Sebastián in die Geheimnisse des Islam einführt. Von ihm erfährt er von den fünf Säulen des Islam, nimmt an einem spirituellen Sufi-Ritual, dem Dhikr, teil, und sieht in einer Predigt sein Verhalten hinterfragt, das in „Faulheit, Furcht und Selbstgefälligkeit“ gründe.
In dieser Begegnung der beiden Männer liegt nicht nur eine Chance auf Entdeckung gemeinsamer Traditionen, sondern auch, dass auch das eigene geistige Erbe wieder neue Nahrung erhält. Denn das Christentum und den Islam eint eine gemeinsame Idee: islamische „Barmherzigkeit“ und christliche „Caritas“ aus dem Gleichnis des barmherzigen Samariters, auf die sich Sebastián im Laufe des Films wieder besinnt.
Varone webt Motive aus Western, der Nachtmeerfahrt und der christlichen Heilsgeschichte in das Roadmovie und gibt ihm einen Look der 1970er-Jahre. Dass er sich ästhetisch auf Vorbilder einer Aufbruchsphase bezieht, spürt man an einer gewissen Sehnsucht nach jener Zeit, in der Besitz nicht so wichtig war, da man lustvoll mit anderen Lebensweisen experimentierte und sich sozial engagierte. Der bislang eher durch Werbefilme bekannte Regisseur modelliert durch eine dramatische Lichtführung, nuancierte Farben und die elliptische Struktur treffend die Wahrnehmung des Protagonisten. Für Reflexionen über die täglichen Katastrophen bleibt wenig Raum: Tag wechselt mit Nacht, Außenraum mit Innenraum, Regen mit Sonne. Die vorzüglich eingesetzte Musik kontrastiert Songs der argentinischen Rockgruppe „Vox Dei“ aus deren Erfolgsalbum „La Biblia“ von 1971 mit den Liedern einer Sufi-Musikgruppe. Aus ihnen tönt die Sehnsucht der Figuren nach etwas, das ihren Alltag überschreitet.