Als der Reporter sie fragt, wie lange sie sich wohl noch mit Schimpansen beschäftigen wird, antwortet Jane Goodall: „Wahrscheinlich bis ich sterbe. Wann das sein wird, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen“. „Jane“ von Brett Morgen ist ein außergewöhnliches Porträt, ein dokumentarisches Lebensbild der autodidaktischen Wissenschaftlerin. Der Found-Footage-Film stützt sich dabei auf mehr als 100 Stunden Material aus dem National-Geographic-Archiv, das bis 2014 als verloren galt. Ein Großteil der 16mm-Farbaufnahmen stammt aus den 1960er-Jahren, die sporadisch von aktuellen Interviews mit der heute 83-Jährigen und sonstigem Archivmaterial ergänzt werden: Zeitungsausschnitten, Briefen, Schwarzweiß-Fotografien, Tondokumenten, Bildern von öffentlichen Auftritten in ihrer Botschafter-Rolle. Im Jahr 1960 kam Jane Goodall in den Urwald von Gombe im nordwestlichen Tansania, um das Verhalten der Schimpansen zu studieren. Zuvor hatte sie als Sekretärin des Paläoanthropologen Louis Leakey gearbeitet, der sie gerade wegen ihrer fehlenden wissenschaftlichen Vorbildung für die Forschungsarbeit auswählte. Goodalls Feldstudien widerlegten damals geltende Erkenntnisse der Primatenforschung. So fand sie heraus, dass Schimpansen nicht nur Werkzeuge einsetzen, sondern auch Objekte als solche modifizieren. Die entsprechenden Bilder, die Goodall aus dem Off kommentiert, zeigen einen Schimpansen, der mit einem zuvor eigens zu diesem Zweck präparierten Zweig Termiten aus einem Loch angelt. Die Aufnahmen aus Gombe stammen von dem Tierfilmer Hugo van Lawick, der von der National Geographic Society 1962 nach Gombe geschickt wurde, um Goodalls Arbeit zu dokumentieren. Aus dem von der Inszenierung ausgewählten Material lässt sich bald herauslesen, was Goodall mit trockenem britischen Humor so formuliert: „Von Anfang an war klar, dass er nicht nur an den Schimpansen interessiert war, sondern auch an mir.“ Beiläufige Bilder, ganz alltägliche, intime Aufnahmen von Goodall, wie sie sich die Haare im Fluss wäscht oder wie sie plötzlich lächelnd bemerkt, dass der Blick der Kamera ihr gilt, dokumentieren den Beginn einer Liebesgeschichte. Diese erzählt der Film parallel zu Goodalls beruflicher Entwicklung, ihrer Leidenschaft für die Tiere. Wie ließ sich die Ehe – ein Heiratsantrag erfolgte per Telegramm – mit ihrem Leben im Urwald vereinbaren? An Ehe und Familie, so rekapituliert Goodall angesichts von Familienaufnahmen mit ihr als Jugendlicher, habe sie nie gedacht. Immer wieder reflektiert Goodall ihre Rolle als Frau in den 1960er-Jahren. Zeitungsausschnitte belegen den sexistischen Umgang mit ihrer Person: „Blond, groß, schön“, lauteten Überschriften. Ihr wurde unterstellt, dass sie ihren Erfolg nur ihren langen Beinen zu verdanken habe. Das sei ihr „zu blöde“ gewesen; sie habe ihre Popularität aber durchaus genutzt, um neue Forschungsgelder zu generieren. Goodall und van Lawick bekamen 1967 einen gemeinsamen Sohn, der auf den Spitznamen „Grub“ hört. Die Familie lebte in der Serengeti, wo van Lawick drehte; die Inszenierung zeigt van Lawicks spektakuläre Bilder von Löwen, Wasserbüffeln, Zebras, Hyänen sowie von dem kleinen Jungen, der in der Wildnis aufwächst. Doch Goodall zog es nach Gombe zurück. Makroaufnahmen von Insekten, Vögeln und Kleingetier alternieren mit Bildern von der Schimpansen-Gemeinschaft, deren Mitglieder im Lauf des Films altern, Kinder bekommen, sterben und sogar Krieg führen. Im engen Zusammenhang mit Goodalls Leben, ihrer kleinen Familie sowie den Reflexionen im Off-Kommentar (auch gespeist aus ihren Schriften) entsteht ein dichtes, anrührendes, mitreißendes Zeitbild. Einzig der bombastische Soundtrack von Philip Glass ist zu überwältigend und erstickt oft die Geräusche des Waldes, die dann als quasi organischer Teil der kontemplativen Bilder fehlen.