Der Dokumentarfilmer Joshua Z. Weinstein spricht als säkularer Jude kein Wort Jiddisch. Trotzdem hat er seinen ersten Spielfilm, die ausschließlich mit Laien besetzte Vater-Sohn-Geschichte „Menashe“, komplett in der teilweise stark auf dem Mittelhochdeutschen basierenden Sprache gedreht. Die ultraorthodoxen Darsteller durften improvisieren, was die Authentizität der Dialoge natürlich noch verstärkt. Das ist ein Glücksfall, zumindest für deutschsprachige Zuschauer, die schon durch den seltsam vertrauten Klang sogleich fasziniert sind. Im Mittelpunkt steht die jüdisch ultraorthodoxe Gemeinde von Brooklyn, angesiedelt in Borough Park, wo die chassidische Wirklichkeit erheblich von den restlichen Bewohnern New Yorks abweicht.
Das fängt mit der genormten Kleidung an, die schon die Vorfahren im Polen des 18. Jahrhunderts getragen haben, der konspirativen Sprache, die neben Amerikanismen je nach Herkunft anders zusammengesetzt ist, der Abwesenheit von Fernsehern, den Perücke tragenden Frauen, der omnipräsenten sozialen Kontrolle und den vielen Vorschriften, die es unter Androhung des Ausschlusses aus der Gemeinschaft nicht zu übertreten gilt. Der Witwer Menashe, mit komödiantischer Begabung grandios gespielt von Menashe Lustig, dessen eigenes Leben aus Vorlage dient, wagt trotzdem eine minimale Revolte.
Menashe verstößt gegen Kleidervorschriften, versteckt seine Schläfenlocken hinterm Ohr, torpediert die von der Gemeinschaft vorgeschriebene Partnerinnensuche, da es ja schon mit seiner arrangierten erste Ehe nicht funktioniert hat, und gelegentlich weiß er auch den Spaß an einem mit wilden Liedern ergänzten Saufgelage zu schätzen. Das hindert ihn aber nicht an seinen täglichen Gebeten oder der Einhaltung der ein oder anderen Vorschrift, so wie er auf seine Art seinem Glauben die Treue hält.
Für den schlecht bezahlten Angestellten in einem Supermarkt könnte es so immer weitergehen, wenn es seinen elfjährigen Sohn Rieven nicht gäbe, den ihm seine sittenstrengen Verwandten zu entreißen versuchen, so lange keine neue Frau im Haushalt ist. So befiehlt es die Thora. Der hin- und hergerissene Junge, ebenfalls großartig und herzzerreißend zerbrechlich gespielt von Ruben Niborski, steht seinem herumalbernen und nicht gerade zuverlässigen Vater sehr nah, kann sich aber auch dem übergriffigen Einfluss der Onkel und Tanten nicht entziehen.
Vor allem Menashes Schwager Eizik nimmt sich das Recht, angesichts seiner ökonomisch besser gestellten Situation und des vorbildlich siebenköpfigen Nachwuchses den einzigen Querulanten in seiner Familie zu belehren. Selbst die nach einem Jahr vorgeschriebene Trauerfeier um die verstorbene Frau, zu der auch der Rabbi kommt, will er Menashe abspenstig machen. Denn es sei doch unmöglich, dass Menashe allein die obligatorische Kugel, ein kalorienhaltiger Kuchen, zu backen vermag.
Dass ein Einzelner gegen die Macht der Gruppe nur schwer ankommen kann, beweist diese unterhaltsame, mitunter auch betörend atmosphärisch gedrehte Mischung aus Woody Allen und koscherstem Naturalismus aufs Traurigste. Gleichzeitig bekommt man einen höchst seltenen Einblick in eine abgeschottete Community, die keine Abweichung duldet und natürlich auch Weinsteins Film feindlich gegenüberstand. Menashe muss nachgeben, sich vorerst den Traditionen und Umständen fügen. Trotzdem behält er seine Würde, während die Orthodoxen auf den Straßen geschäftig hin und her eilen, abgekapselt vom Rest der Welt.