Über Leben in Demmin
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 90 Minuten
Regie: Martin Farkas
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- It Works! Medien/rbb/NDR/BR
- Regie
- Martin Farkas
- Buch
- Martin Farkas
- Kamera
- Roman Schauerte
- Musik
- Mathis Nitschke
- Schnitt
- Anne Fabini
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 22.03.2018
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Dokumentarfilm über eine Kleinstadt in Vorpommern, die noch immer mit ihrer tragischen NS-Vergangenheit kämpft, was Rechtsradikale für sich instrumentalisieren.
Der Dokumentarfilm „Über Leben in Demmin“ verrät schon in seinem doppeldeutigen Namen, dass er sowohl vom Gestern wie auch von der Gegenwart erzählt: Überlebende, vornehmlich Frauen, berichten von einer traumatischen Katastrophe am Ende des Zweiten Weltkriegs. Mehrere hundert Menschen nahmen sich damals aus Angst vor den heranrückenden Rotarmisten das Leben. Sie schnitten sich die Pulsadern auf, gingen mit Gewichten beschwert in einen der durch die Kleinstadt führenden Flüsse oder erschossen sich. Manche scheuten auch nicht davor zurück, ihre Kinder zu töten. Doch Regisseur Martin Farkas verlässt recht bald das Feld der Zeitzeugenberichte. In seinem Porträt des vorpommerschen Städtchens geht er der Frage nach, wie dieser traumatische und in der DDR tabuisierte Massenselbstmord bis heute nachwirkt. Wie dieses Ereignisses gedacht wird. Wie die Erinnerungen die damals noch kleinen Kinder bis heute aus der Fassung bringen. Und nicht zuletzt, wie sich Neonazis jedes Jahr zu einem Trauermarsch versammeln, um von „Horden aus den Steppen des Ostens“ zu schwadronieren und die Vergangenheit gleichsam in Beschlag zu nehmen; jede Bewegung braucht schließlich ihre Märtyrer. Chronologisch beginnt dieser Film über Erinnerung mit einem Pärchen im Seniorenheim, das sich partout nicht erinnern will: „Darüber möchten wir eigentlich gar nicht reden.“ Was sie dann aber doch tun. In gepflegt-blühenden Gärten und auf schmucklosen Balkonen versuchen die betagten Menschen aus Demmin die Geschehnisse zu rekonstruieren. Wie sich Kinder in Scheunen in die Unterarme schnitten – und überlebten, weil sie nicht wussten, in welche Richtung man die Pulsadern aufschneiden muss. Zudem brannte damals die ganze Stadt, ein Brand, den die entflohenen Zwangsarbeiter entfacht hätten, wie der in Nossendorf bei Demmin ansässige Regisseur Hans-Jürgen Syberberg mutmaßt. Wie andernorts auch werden die Gedenkmärsche der Rechten, die praktischerweise immer auf den 8. Mai fallen, von Gegendemonstranten gestört und manchmal auch blockiert. Demmin selbst wirkt dann verlassen wie eine Westernstadt vor dem großen Duell. Ein junges Pärchen mit Kind, angeblich völlig neutral, kann das nicht fassen: „Sollen die doch ihren Trauermarsch abhalten. Wo ist das Problem?“ Der junge Vater redet von Kroppzeug und kurzem Prozess. Es wäre doch so einfach, wenn diese Linken nicht immer dazwischenfunken würden. Deren von einer Handvoll Gästen frequentiertes Friedensfest wirkt mit seinem 1960er-Soundtrack mit „We Shall Overcome“ wie aus der Zeit gefallen. Sympathien scheint es hier vornehmlich für die Neonazis zu geben. Ansonsten herrscht eine seltsame Stimmung des Heraushaltens vor. Handwerker wollen schließlich noch Aufträge bekommen, „egal ob einer rechts ist oder links“. Als der Fackelmarsch dann schließlich stattfindet, deklamiert ein NPD-Funktionär seine auswendig gelernten Zeilen, bevor der Trauerkranz falsch herum im Wasser landet. „Über Leben in Demmin“ ist eine mit ebenso langen Einstellungen wie langem Atem gedrehte Erkundung eines Ortes, der immer noch mit seiner Vergangenheit zu kämpfen hat.