Detroit im Jahr 1984. Bislang war die Stadt am Rand der Großen Seen eine Metropole des industriellen Aufschwungs gewesen, eine Hochburg des Großkapitals und ein begehrtes Zentrum der arbeitswilligen Bevölkerung. Doch der Zenit der wirtschaftlichen Entwicklung war längst überschritten; schon wenige Jahre später verfielen die Wahrzeichen des Kapitalismus, und an den Rändern der Stadt breitete sich eine Wüste aus Vernachlässigung und Slums aus. In diesem Detroit verkauft der 14-jährige Protagonist gemeinsam mit seinem Vater illegale Waffen, vorwiegend an schwarze Gangster.
Ricks Geschichte ist zugleich eine Geschichte der Stadt Detroit und vieler anderer US-amerikanischer Städte in den 1980er- und 1990er-Jahren. Sie ist – wie inzwischen so viele Filme – eine wahre Geschichte. Regisseur Yann Demange erzählt sie ohne Beschönigungen im Stil alter Gangsterfilme, in düsteren Farben und mit der Handkamera gefilmt, die den Protagonisten immer hart auf den Fersen bleibt.
Die Handlung versammelt so ziemlich alles, was man aus thematisch verwandten Hollywood-Filmen gewöhnt ist. Aber in den meisten Szenen nimmt die Inszenierung den Begebenheiten jeden Anstrich moderner Actionfilme. Was Rick passiert, ist krass und hässlich und lässt nicht einmal einen Anflug genreüblicher Abenteuerlichkeit zu.
Der Anfang vom Ende
Einer seiner wenigen Freunde bringt Rick mit einer Gruppe von Drogenhändlern zusammen, wobei er der einzige Weiße unter lauter Schwarzen ist. Rick ist jung und naiv genug, um nicht einmal zu ahnen, dass das der Anfang vom Ende ist. Zum ersten Mal in seinem Leben gehört er zu etwas. Er weiß nicht so richtig wozu, aber er weiß, dass es etwas anderes ist als das Leben, das er bisher mit seinem Vater geführt hat, der in einem Keller Schalldämpfer für die Waffen herstellt, die er heimlich verkauft. Ricks Schwester ist längst allen Drogen verfallen, an die sie herankommen kann, und seine Großeltern meinen es zwar gut, sehen aber dem allgemeinen Niedergang tatenlos zu.
So verkommen wie Ricks Umgebung sind auch die Polizei und das FBI, deren Methoden denen der Gangster ähneln. Als sie Nick unter Druck setzen und ihn mit (falschen) Versprechungen gefügig machen, wird der Junge zum Informanten. Ricks Ende – jedenfalls so weit, wie die Handlung geht – ist die geringste Überraschung: Er landet hinter Gittern und wird erst 30 Jahren später wieder entlassen.
Eine Menge Vorzüge
„White Boy Rick“ hat eine Menge Vorzüge, die fast alle auf das Konto von Regisseur Yann Demange gehen, der schon mit dem unkonventionellen IRA-Thriller „71 – Hinter feindlichen Linien“ positiv aufgefallen ist. Doch Demange hat keinen Darsteller für die Hauptfigur gefunden, der aus Rick mehr als ein blasses Spiegelbild der realistisch eingefangenen Umgebung gemacht hätte. Das wird besonders in den Szenen mit Ricks Vater deutlich, den Matthew McConaughey zur nachvollziehbarsten Figur des Films modelliert, einem Versager, der immer noch davon träumt, dass er sich und seine Familie vor dem Ertrinken retten kann.
Dass sich im Abspann der Name von Darren Aronofsky unter den Produzenten findet, lässt vermuten, dass mit dem Sujet einmal Größeres beabsichtigt war. Durch das Manko an psychologischer Vertiefung verliert der Film nicht nur an Nachvollziehbarkeit, sondern auch an Spannung.