Es gibt Filme, die unter dem Ruf ihres Regisseurs leiden. Das Spätwerk von Woody Allen fällt unter diese Kategorie. So war die amerikanische Filmkritik wenig erbaut über Allens Marotte, in „Wonder Wheel“ einen angehenden Dramatiker als Erzähler durch eine Geschichte führen zu lassen, die mit literarischen Referenzen vollgestopft, im Kern eine katastrophische Dreiecksgeschichte erzählt. Der Film dreht sich um Mickey, der sich während der Semesterferien am Strand von Coney Island als Rettungsschwimmer verdingt. Dort beginnt er eine Affäre mit der verheirateten Ginny, kommt bald auch Carolina näher, der Tochter von Ginnys Ehemann Humpty.
Doch lohnt es sich, den auch biografischen Ballast einmal beiseitezuschieben und auch all die manieristischen Beschwörungen von Ödipus und Eugene O’Neill an sich vorbeiwehen zu lassen. Denn Allens Alter Ego ist die uninteressanteste Figur des Films. Justin Timberlake spielt diesen Verführer ganz ohne Düsternis wie einen, den nicht zuletzt seine exaltierte Position, fast ohne eigenes Zutun, in eine Situation schlittern lässt, die ihn überfordert, ohne dass ihm in diesem Betrügerspiel je die Maske vom Gesicht gleiten würde. Die große Lüge, die ein solches Selbstporträt darstellt, reflektiert dieser kluge, im Dienst der Armee so weit gereiste Mann allerdings nicht.
Doch unten, am Sand, zwischen den prallen Reklamen der Uferlokale, den Karussells und Achterbahnen, tummelt sich in den 1950er-Jahren das Leben. In diesem außerweltlichen Mikrokosmos sammeln sich die Abgehängten; hinter dem Riesenrad und über einer Schießbude leben Ginny und Humpty in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Freakshow. Dieses Setting, das lässt sich klar konstatieren, bewegt sich außerhalb Allens erzählerischer Komfortzone. Also erfindet er Coney Island, das immer schon etwas Unwirkliches an sich trägt, noch einmal neu als Märchenland. Die Kamera von Vittorio Storaro lässt das Sommerlicht mal golden durch die Fenster scheinen, dann wieder von künstlicher Farbigkeit erhellen oder in ein eiskaltes Blau abstrahlen.
In diesen Bildern lebt eine Magie, die dem Realismus lange abgeschworen hat. Ob gleiches auch für die Träume der Sehnsüchtigen gilt? Ginny stand mal auf einer Musical-Bühne und jobbt nun als Kellnerin. Carolina, die jahrelang von der Bildfläche verschwunden war, taucht plötzlich wieder auf, weil die Schattenseiten des Lebens an der Seite eines Mafiosos offenbar wurden. Richie, Ginnys Sohn aus erster Ehe, legt Feuer; warum, weiß er wohl selbst nicht. Nur Humpty scheint mit seinem Leben am Karussell zufrieden zu sein. Sein Traum beschränkt sich darauf, Carolina aufs College schicken zu können.
Jim Belushi dominiert als Humpty die Szenen nicht nur durch seine ohne Scham zur Schau gestellte Leibesfülle, sondern auch durch den proletarischen Furor, der aus seiner Figur hervorbrechen kann. Sein Grimassieren, Schreien, Nuscheln und Poltern externalisiert die Emotionen, macht sie sinnlich erfahrbar, während Ginny ihre Wünsche tief in sich versteckt hält. Gleichwohl lässt Kate Winslet die Verzweiflung der Figur in sich wachsen und zeigt, wie ihr Verlangen nach einem anderen Leben auch an ihrem Körper, ihrer Miene zerrt.
Ihre Würde behalten alle in diesem Märchen, das wie nebenbei auch von einer durch und durch heutigen Patchwork-Familie erzählt. Der viel beschworene Mief der 1950er-Jahre ist hier weit entfernt, auch wenn in dieser Enklave der Außenseiter, wie so oft bei Woody Allen, keine Afroamerikaner zu leben scheinen. Die Liebe zu den menschlichen Sehnsüchten aber steckt so tief in diesem Stoff, dass die unvermeidlichen Spaziergänge schöner Menschen durch schöne Parks in der Nachmittagssonne sich als nebensächliche Schrulle eines Filmemachers ignorieren lassen.