Der düstere Film beginnt mit einem Bibelzitat. Als bei Lukas der auferstandene Jesus seinen Jüngern erscheint, „erschraken sie und fürchteten sich sehr. Sie dachten, ein Geist stünde vor ihnen.“ Um ihre Angst zu besänftigten, zeigt Jesus ihnen die Wunden an seinen Händen und Füßen: „Hier, fasst mich an und überzeugt euch, dass ich kein Geist bin. Geister sind doch nicht aus Fleisch und Blut wie ich!“ Doch genau das ist die Frage in „The Wailing“. Wer kann schon so genau sagen, was stimmt und was nicht, wer gut ist und wer Böses im Sinne führt? Diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film. Es geht dabei immer wieder um Aspekte des Glaubens, wobei auch der koreanische Schamanismus, in dem Geister durchaus menschliche Gestalt annehmen können, eine Rolle spielt. Visuell ist das Eingangszitat ins ebenfalls biblische Sinnbild eines Menschenfängers eingefügt: Ein Fischer steht am Fluss und steckt einen Köder an die Angel, um sie dann auszuwerfen.
Ein harter Schnitt lenkt den Blick auf eine regnerisch-düstere Szenerie. Mysteriöse Mordfälle treiben die Polizei in dem südkoreanischen Bezirk Gokseong um. Dorfbewohner, die scheinbar von einer seltsamen Krankheit befallen sind, töten auf grausamste Art und Weise andere Menschen. Oder sollten die physischen und psychischen Absonderlichkeiten der Täter auf eine dämonische Besessenheit zurückzuführen sein? Gerüchten zufolge soll der Schuldige erst vor kurzem in die abgelegene Gemeinde gekommen sein: ein zurückgezogen in den Wäldern lebender Japaner. Aber auch eine geisterhaft durch die Gegend streifende junge Frau scheint über übermenschliche Eigenschaften zu verfügen. Ihre Namenlosigkeit macht sie umso verdächtiger und heizt die Angst der Bewohner vor allem Fremden weiter an.
Während der Polizist Jeon Jong-gu, ein etwas schrulliger Ehemann und Vater, den Ursachen der Mord-Serie auf die Spur zu kommen versucht, sterben immer mehr Menschen. Als auch seine Tochter Jeon Hyo-jin Anzeichen der Besessenheit zeigt, gerät die Suche nach der Wahrheit unter extremen Zeitdruck und wandelt sich überdies zur persönlichen Angelegenheit. Der Schamane Il-gwang soll bei der Dämonenaustreibung helfen; gleichzeitig wird aber auch ein katholischer Priester engagiert. Hier treffen verschiedene Glaubensrichtungen aufeinander: der koreanische Schamanismus und das katholische Christentum. Regisseur und Drehbuchautor Na Hong-jin, der schon mit „The Chaser“ (fd 38 994) und „The Yellow Sea“ (fd 41 091) für Aufsehen sorgte, nimmt jedoch keine Wertung der Religionen vor. Es geht nicht um die Suche nach metaphysischer Wahrheit, sondern eher um eine düstere Diskussion über (Aber-)Glauben. Exorzismus und die tradierten religiösen Rituale werden durchaus gleichwertig behandelt. In den spannendsten Szenen stellt die Inszenierung die unterschiedlichen Richtungen durch Parallelmontagen sogar nebeneinander.
Neben dem Schnitt tragen die Wahl des CinemaScope-Formats und die Kameraarbeit von Hong Kyung-pyo viel zur beeindruckenden Atmosphäre bei. Der reale Ort des Geschehens und seine eindrucksvolle Natur werden überwältigend in Szene gesetzt. Die Menschen verschwinden geradezu in den riesigen Landschaftstotalen; mitunter scheinen sie nur noch vorübergehende Komponenten in einem riesigen Gebilde zu sein. In all der übernatürlichen Fantastik und angesichts der existenziellen Fragen liegt hier der feste Anker: im Ort des Geschehens, in Gokseong. Wie in vielen Filmwerken funktioniert die Situierung der Erzählung an einen realen Ort als Verifikation des Geschehens. In dieser Geschichte, so deutet es die Verortung an, steckt ein Funke Wahrheit. Das ist ein wichtiges Element der filmischen Vergegenwärtigung und eine kluge Entscheidung des Regisseurs, die in der Synchronisation aber kaum adäquat wiedergegeben wird.