Manchmal erzählt der Soundtrack seine eigene Geschichte. Wenn in „Boys in the Trees“ erst „Glycerine“ von Bush, später „Milk“ von Garbage und „Engel“ von Rammstein zu hören sind, dann vermittelt der Film nicht nur einen genauen Eindruck von der Zeit, in der man sich befindet, sondern auch von der Stimmungslage und Lebensphase der jungen Protagonisten. Das Langfilmdebüt von Nicholas Verso spielt im Jahr 1997, an Halloween, und damit in jener Nacht, in der sich Leben und Tod so nah sind wie nur möglich.
Corey und Jonah waren einmal beste Freunde. Jetzt stehen sie am Ende ihrer Schulzeit, und die Freundschaft von einst ist nur noch eine blasse Erinnerung. Der schmächtige Jonah ist zum beliebten Mobbing-Opfer der coolen Skaterjungs um den Anführer Jango geworden, zu der auch Corey gehört. Corey wurde ein Mitläufer, der freilich längst die Nase voll hat von dem Umfeld, in dem er aufgewachsen ist. Sobald wie möglich möchte er Australien verlassen und nach New York ziehen, um dort Fotografie zu studieren. Doch nachdem Jonah in der Halloween-Nacht auf dem Skaterpark stürzt und sich am Kopf verletzt, ist es ausgerechnet Corey, der ihm helfen muss. Jonah kann Corey überreden, ihn nach Hause zu bringen, und dieser Weg wird für beide zu einer Reise in die Vergangenheit. Als sie noch Kinder waren, liebten sie Geschichten von Geistern und Zombies, und auch jetzt lösen sich die Grenzen zwischen Realität und Fantasie zunehmend auf.
„Boys in the Trees“ hat bisweilen etwas Traumwandlerisches, wenn er Bilder von bösartigen Clowns zeigt, die mit ihren BMX-Rädern in Zeitlupe durch bengalisches Feuer fahren, oder wenn Schatten an der Wand ein Eigenleben zu führen beginnen. In Szenen wie diesen spielt Verso sein Talent, in Bildern zu denken, voll aus und hüllt seinen Film in eine schön morbide Stimmung. Irgendwann verlässt er den Boden der Tatsachen, öffnet die Realität für das Unheimliche und macht aus seiner Mobbing-Geschichte einen düsteren Coming-of-Age-Film über alte Freunde und alte Wunden, deren Narben nicht verheilen wollen.
Es gibt einige arg bedeutungsschwangere Dialoge, die den Film ein wenig künstlich wirken lassen, einige Kürzungen hätten „Boys in the Trees“ sicherlich nicht geschadet. Atmosphärisch aber trifft Verso immer wieder den Punkt. Er erzählt vom Driften zwischen den Zeiten, zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, von der Unsicherheit, die das Erwachsenwerden begleitet, und findet eindringliche Szenen für dieses seltsame Gefühl, wenn man jemanden wiedertrifft, mit dem man sich einmal sehr verbunden gefühlt hat, der einem zugleich vertraut und fremd geworden ist.
Wenn die Handlung auch bisweilen auf der Stelle zu treten scheint, wirkt sie in der Darstellung des jugendlichen Lebensgefühls doch authentisch. „Ich habe Angst und bin allein“, heißt es bei Rammstein, „Don’t let the days go by“ bei Bush. Wenn dann einmal „It’s alright“ von East 17 im Hintergrund im Radio gespielt wird, ist dies pure augenzwinkernde Ironie. In Ordnung ist hier erst einmal überhaupt nichts. In „Boys in the Trees“ zeigen die Jugendlichen gerade dann ihr wahres Gesicht und wie sie sich fühlen, wenn sie ihre furchteinflößenden Halloween-Masken tragen.