Träum was Schönes - Fai Bei Sogni

Drama | Italien/Frankreich 2016 | 130 Minuten

Regie: Marco Bellocchio

Ein Journalist denkt beim Ausräumen der Wohnung seines verstorbenen Vaters über seine Kindheit nach und erinnert sich daran, wie sehr der Tod seiner Mutter ihn in seiner Entwicklung gelähmt hat. Marco Bellocchios eindrucksvolle Tragödie fußt auf dem autobiografischen Roman von Massimo Gramellini. In virtuos konzipierten Rückblenden erzählt sie feinfühlig von der Traumatisierung eines Kindes und seines misslungenen Trauerprozesses. Dabei ist der Film zugleich Medienkritik und tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Beruf des Journalisten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FAI BEI SOGNI
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
IBC Movie/Kavac Film/Rai Cinema/Ad Vitam Prod.
Regie
Marco Bellocchio
Buch
Valia Santella · Edoardo Albinati · Marco Bellocchio
Kamera
Daniele Ciprì
Musik
Carlo Crivelli
Schnitt
Francesca Calvelli
Darsteller
Valerio Mastandrea (Massimo) · Bérénice Bejo (Elisa) · Fabrizio Gifuni (Athos Giovanni) · Guido Caprino (Massimos Vater) · Barbara Ronchi (Massimos Mutter)
Länge
130 Minuten
Kinostart
17.08.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Meisterliche Lebensgeschichte um den Verlust einer Mutter

Diskussion

Marco Bellocchios Film beginnt mit einer langen Rückblende in die Kindheit seines Protagonisten. Es sind Erinnerungen, die Massimo mit seiner Mutter verbindet und die mit starken Gefühlen behaftet sind: mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, mit Lust, Freude, Erregung und Ausgelassenheit, aber auch mit Horror und schrecklicher Angst. So holt die Mutter ihren Sohn von den langweiligen Hausaufgaben weg, als im Radio „Let’s twist again“ erklingt, und zeigt ihm, wie man dazu tanzt. Ein andermal sitzen beide traut vereint vor dem Fernseher, schauen sich eine Folge der Serie „Belphégor“ an. Wenn sie sich gruseln, versteckt sich die Mutter hinter dem Sohn.

Danach jedoch verdunkelt sich Massimos Erinnerung. Es kommt ihm in den Sinn, wie er mit seiner in sich gekehrten Mutter in der Straßenbahn fährt, sie aber nicht an der richtigen Haltestelle aussteigt, sodass sie eine zweite Runde drehen müssen. Dann die schrecklichste Szene: An Weihnachten verschwindet die Mutter plötzlich. Niemand erklärt, was geschehen ist, niemand tröstet ihn. Totenstille im Haus. Alle sind traurig, sein Vater schleppt ihn zu einem Priester, von dem er erfahren muss, dass Gott die Mutter zu sich gerufen hat. Für den Sohn aber bleibt der Himmel leer, von dort erhofft er sich keinen Trost. Vielmehr setzt er an die Stelle der Mutter den schwarzen Kuttenmann „Belphégor“. Den ruft er zukünftig an in Stunden der Not.

Ein Junge wird Schritt für Schritt traumatisiert

Bellocchios Film, dem der autobiografische Roman des Journalisten Massimo Gramellini zugrunde liegt, seziert den Mythos des kinderlieben Italien. Einfühlsam setzt er ins Bild, wie ein Kind, das sich mit seiner Mutter tief verbunden fühlt, mit deren Tod nicht zurechtkommt und seine Trauer und Einsamkeit nicht zu bewältigen vermag, bis ins Erwachsenenalter hinein. Und das, weil ihm seine Bezugspersonen stur den Beistand verweigern und ihn mit der Lüge eines plötzlichen Infarkts abspeisen.

Präzise fängt der Film ein, wie der Junge Schritt für Schritt traumatisiert wird, begleitet von einer Musik, die die unheimliche Atmosphäre unterstreicht. Keiner zeigt Interesse an Massimo, keiner fühlt sich in seine Situation ein. Stattdessen wird er mit Kommandos traktiert: „Genug!“, „Komm!“, „Geh!“ Massimo wird durch sein Leben gehetzt, erfüllt die Aufträge, die man ihm erteilt.

Meisterhaft wird Massimos Gefühlslage, seine Wahrnehmung, das überfallartig Erlebte durch die Montage akzentuiert, die Massimos Leben kunstvoll aus mehreren Rückblenden zusammensetzt. Diese folgen der Form einer Entwicklungsgeschichte, nehmen auf dessen Lebensthemen immer wieder Bezug und gipfeln in der stückweisen Auflösung des Traumas. Anlass ist, dass der Protagonist nach dem Tod seines Vaters 1999 die Wohnung in Turin, in der sich alles abspielte, auflösen muss. Dabei reflektiert er, der seine Karriere als Sportjournalist begann, bevor er sich politischen Themen zuwandte, seine Arbeitsweise und das Ethos seines Berufstands: Wie will er schreiben? Will er kühler Beobachter sein, was ihn letztlich zu einer zynischen Haltung verführt, wie er es in Sarajewo als Kriegsreporter erlebte? Dort begegnete er sich selbst in einem kleinen Jungen, der ob des Todes seiner Mutter unter Schock stand und die Realität verleugnete, indem er sich in die Welt seines kleinen Spielcomputers flüchtete. Massimo fotografierte ihn für ein Sensationsfoto, postiert vor der toten Mutter. Oder will er am Geschehen, am Leid anderer Anteil nehmen? Womit sich sogleich der Ton ändert, was die Musik mit dem Umschlagen in einen kitschigen Modus kommentiert. Leicht droht solche Haltung in Rührseligkeit umzuschlagen, statt sich der Wahrheit zu stellen, wie es der Protagonist am Ende tut.

Wie mit einem "leeren Himmel" umgehen?

Nicht zuletzt ist der Film auch als Medienkritik zu verstehen, die auf den Spuren von Günther Anders wandelt. Denn die abwesende Mutter vertritt auch ein philosophisches Problem, das darum kreist, wie der Mensch mit einem „leeren Himmel“ umgeht. Massimo füllt die Lücke mit einem Phantom, das durchs Fernsehen zu ihm dringt und sein Gefühl der Unwirklichkeit, der Selbstentfremdung noch verstärkt, weil es zugleich die Abspaltung dunkler Gefühle garantiert.

Für eine solche Derealisation macht der Film den bürgerlichen Geschlechterdualismus sowie den männlichen Habitus verantwortlich. Der Vater, als Sachverwalter der Vernunft, ist nicht willens, auf das Leiden des Sohns zu reagieren und die Lücke affektiv zu füllen. Erst als Massimo einer seiner Mutter ähnelnden Frau begegnet, beginnt sich sein Schicksal zu wenden.

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