Piotr, der von allen nur Toro genannt wird, arbeitet seit 10 Jahren schwarz in Deutschland: als männlicher Escort für Frauen. Toro sieht auch aus wie ein Stier oder ein Bulle; eine mächtige physische Präsenz umhüllt seine interessante, aber zwiespältige Persönlichkeit. Er ist ein durchtrainierter junger Mann, der zunächst prollig und vorlaut wirkt, auf der anderen Seite aber auch sehr hilfsbereit und diszipliniert ist. Zusammen mit seinem besten Freund Victor schmiedet er langfristige Zukunftspläne; beide wollen nach Polen, in Piotrs Heimat, um dort eine Boxschule zu eröffnen.
Victor fehlt jedoch ein eigenes Ziel; sein einziges Interesse besteht darin, Geld für die Drogen zu beschaffen. Auch er arbeitet in der Stricher-Szene, jedoch in einer anderen Liga. Er bietet sich männlichen Freiern an, die er in Bars anspricht. Ständig gerät er in Konflikt mit Dealern. Als er keinen Ausweg mehr sieht, lenkt er deren Aufmerksamkeit auf Toros Ersparnisse.
Für den scheinen aber selbst in dieser Situation die Grenzen der Freundschaft nicht überschritten. Stattdessen organisiert er sich eine Waffe und will mit Victor zusammen das in einem Jahrzehnt gesammelte Geld zurückholen, von dem seine Zukunft abhängt. Eine gewalttätige Abwärtsspirale beginnt, deren Brutalität auch vor Freunden nicht Halt macht und aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
Der Debütfilm von Regisseur Martin Hawie wagt sich mit Bravour aufs filmkünstlerische Experimentierfeld. Die Reduktion auf eine schwarz-weiße Bildgestaltung und der starke Fokus auf das Sounddesign verleihen dem Film eine beeindruckende Intensität. Kleine Schwächen in den Dialogen fallen angesichts der überragenden Atmosphäre kaum ins Gewicht. Die Drastik von Victors lauten Verzweiflungsschreien wird geradezu multipliziert, wenn der Sound plötzlich ausbleibt und andere akustische Elemente in den Vordergrund treten. Die Szenen zitieren Al Pacinos unbeschreibliche Trauer in „Der Pate III“
(fd 28 794), als dessen Tochter erschossen wird und er einen stummen Schrei ausstößt, der ohne Ton umso stärker trifft.
Hawie ist ein gebürtiger Peruaner, der seit über 10 Jahren in Deutschland lebt. Berichte über den hohen Anteil von Migranten in der Stricher-Szene haben den Anstoß gegeben, sich mit den Wünschen und Träumen dieser Menschen auseinanderzusetzen. „Toro“ ist Hawies Diplomfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Es ist kein Film über die Freundschaft zweier befreundeter Männer, sondern das Zeugnis des Außenseitertums in einer gesellschaftlichen Parallelwelt und einer seit Generationen verwurzelten Homophobie, die bis zum Selbsthass reicht.
Andeutungen oder Fragen nach einer etwaigen Homosexualität negiert Toro bisweilen beeindruckend ruhig und leidenschaftslos, ein andermal reagiert er überraschend angegriffen mit Wut und körperlicher Gewalt. Die Hintergründe werden lediglich vage und nebenbei angedeutet. Eine konservativ-reaktionäre familiäre Prägung zu Homosexualität und Katholizismus haben ihre Spuren hinterlassen, die durch Auswanderung und ein anderes Milieu nicht zu überwinden sind. Das bittere Finale verdeutlicht die grundsätzliche Problematik der beschränkten Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebensentwurfes, der schon lange im Voraus angelegt scheint. Vor diesem Hintergrund muss „Toro“ auch als ein filmisches Plädoyer für Offenheit verstanden werden.