Ein seit einiger Zeit getrenntes Paar kommt noch einmal für ein Wochenende in der Bretagne zusammen, wo die Frau das Haus ihres verstorbenen Vaters verkaufen will. Druck und Gereiztheit beschwören neue Spannungen herauf, doch entsteht durch die Zweisamkeit auf engem Raum auch die Möglichkeit eines Neuanfangs. Kammerspielartiges Drama, das gegen seine Handlungsarmut eine höchst stimmungsvolle Rauminszenierung und hervorragende Darsteller ins Gefecht führt. Flachere Elemente und Verfremdungsmittel stören den Fluss des Erzählung, die gleichwohl bis zum Ende fesselt.
- Ab 16.
Die Schlösser aus Sand
Drama | Frankreich 2015 | 98 Minuten
Regie: Olivier Jahan
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Filmdaten
- Originaltitel
- LES CHÂTEAUX DE SABLE
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Kizmar Films/Noodles Prod.
- Regie
- Olivier Jahan
- Buch
- Diastème · Olivier Jahan
- Kamera
- Fabien Benzaquen
- Schnitt
- Jean-Baptiste Beaudoin
- Darsteller
- Emma de Caunes (Eléonore) · Yannick Renier (Samuel) · Jeanne Rosa (Claire Andrieux) · Christine Brücher (Maëlle Prigent) · Alain Chamfort (Eléonores Vater)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 27.04.2017
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Melancholische Stimmungsmalerei um Liebe und Lebensentwürfe
Diskussion
Die Kinder mühen sich ab, doch das Meer ist stärker. So sehr sich die kleinen Baumeister gegen die Wellen stemmen, können sie doch nicht verhindern, dass ihre Sandburgen überspült und zerstört werden. Dem erwachsenen Mann, der die Kinder beobachtet, liegt es zwar fern, sie zu bremsen, doch weiß er aus eigener Erfahrung, dass ihr Einsatz keinen Erfolg haben wird.
Es ist ein zutiefst melancholisches Szenario von der Erkenntnis der Vergänglichkeit, das Georges Brassens in seinem Chanson „Les châteaux de sable“ beschreibt – so wie bei vielen der Werke, die der Dichter in den 1970er-Jahren, desillusioniert und krank, in seinem Haus in der bretonischen Stadt Lézardrieux verfasste.
Dieses Anwesen ist einmal kurz auch in dem Film von Olivier Jahan zu sehen, der seinen Titel von dem Chanson ableitet und dessen Stimmung auf die Beziehung seiner Hauptfiguren überträgt. Die Enddreißiger Éléonore und Samuel galten einmal als ideales Paar, doch hat auch ihre Liebe den Anfechtungen von außen nicht standgehalten und sich aufgelöst. Die beiden sind getrennt, und Samuel hat sogar schon eine neue Freundin, als sie sich am Anfang des Films noch einmal gemeinsam in die Bretagne aufmachen: Éléonores Vater ist gestorben und sein Haus muss an diesem Wochenende verkauft werden; ein schmerzlicher Abschied, an dem aber wegen des zuletzt mäßigen Erfolgs der Fotografin kein Weg vorbeiführt.
Éléonore fühlt sich in ihrer Trauer ziemlich alleingelassen und reagiert deshalb schnell gereizt: auf Samuel, der sich hilfsbereit wie eh und je gleich an dringliche Reparaturen macht, auf die leicht verunsicherte Maklerin Claire, die angesichts der Marktlage Abstriche beim Verkaufspreis in Aussicht stellt, auf die unsensiblen Interessenten, die das Haus nicht zu würdigen wissen und an allem herumnörgeln. In der Zeit zwischen Freitagmorgen und Sonntagmittag, die der Film umfasst, kommt es deshalb zu einigen Ausbrüchen und Streitphasen, allerdings auch zu unerwarteten Wendungen, die einen Neubeginn zwischen Éléonore und Samuel möglich erscheinen lassen.
„Die Schlösser aus Sand“ ist nach „Der kleine Voyeur“ (2000) erst der zweite Spielfilm, den Jahan realisieren konnte. Dass er überwiegend im Haus seines eigenen Vaters drehte, weil ihm nur ein geringes Budget zur Verfügung stand, schränkt die Entfaltung der Handlung zwar ein, trägt jedoch enorm zur Stimmung des Films bei. Was auch immer die Kamera am Haus in den Fokus rückt, ob die Holzveranda, das Wohnzimmer mit dem Kamin, die gut ausgestatteten Bücherregale oder die Steinfliesen in der Küche, stets vermittelt sich auf sympathische Weise die Zuneigung des Regisseurs, was auch das Verhalten seiner Stellvertreterfigur Éléonore nachvollziehbar macht. Ähnlich liebevoll ist der Blick auf die raue Küstenlandschaft der Bretagne sowie die Inszenierung der sonst im französischen Kino selten wirklich geforderten Schauspieler. Vor allem Emma de Caunes und Yannick Renier in den Hauptrollen sowie Jeanne Rosa als Maklerin nutzen die Chance dabei famos, ihre Figuren mit präzisen Details zum Leben zu erwecken.
Letztlich bleibt es daher auch Darstellern und Atmosphäre überlassen, dem statischen Plot und den recht schematischen Charakterzeichnungen entgegenzuwirken: Dass Éléonore zwar kunstvolle Fotos schießt, für das Leben um sich herum aber oft keinen rechten Blick hat, wirkt ebenso abgegriffen wie Samuels Entwurf als Historiker, der seine eigene Geschichte nicht auf die Reihe bekommt, oder die Selbstzweifel der professionellen Verkäuferin Claire.
Im Bemühen, die Gefühle der Figuren zu offenbaren, greift der Regisseur manchmal zu wenig probaten Mitteln. Zwar setzt er abweichend von der französischen Kinotradition einmal nicht auf ausgedehnte Dialogszenen. Durch Verfremdungsmomente, in denen die Figuren monologisch direkt in die Kamera sprechen, sowie eine Erzählerstimme ist der Film dennoch ziemlich wortlastig. Auch stellt sich der beabsichtigte poetische Effekt nicht immer ein.
Viele dieser Einfälle irritieren nur, ohne tieferen Eindruck zu hinterlassen. Die außergewöhnliche Fähigkeit des Regisseurs zur Stimmungsmalerei hält das Interesse am Ausgang des Films dennoch wach, bis zur optimistischen Coda. Denn so resignativ wie Brassens ist Jahan nicht: Für ihn steht die Sandburg-Metapher nicht nur für die Vergänglichkeit, sondern auch für das Potenzial, zerstörte Dinge wieder neu aufzubauen.
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