Langzeitdokumentation über zwei Brüder aus dem Senegal, die von der Fischerinsel Niodior nach Saaraba, ins verheißende Land, Europa, auswandern wollen. Der Ältere hat es vor zehn Jahren nach Spanien geschafft, der Jüngere wurde bereits zehn Mal abgefangen. Ihre Geschichte wird von ihrem Cousin kommentiert, der als Musiker für ein Leben in Afrika wirbt. Der eindringliche Film beschränkt sich in dokumentarischer Tugend aufs geduldige Zuhören und genaue Hinschauen. Dadurch kehrt er die europäische Perspektive um und erzählt aus der Sicht der handelnden Afrikaner, was die Inszenierung aus dem Assoziationskorsett ideologischer Kontroversen befreit.
- Sehenswert ab 14.
Life Saaraba Illegal
Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 89 Minuten
Regie: Peter Heller
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Filmkraft Peter Heller Filmprod.
- Regie
- Peter Heller
- Buch
- Peter Heller · Bernhard Rübe · Saliou Sarr
- Kamera
- Bernhard Rübe · Jan Betke · Pape Malick Samb
- Schnitt
- Wolfgang Grimmeisen · Thomas Balkenhol
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 09.03.2017
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarische Langzeitstudie über zwei Brüder aus dem Senegal, die von einem Leben in Europa träumen
Diskussion
Acht Jahre lang hat der Dokumentarist Peter Heller zwei senegalesische Brüder in ihrem Alltag als illegale Migranten begleitet. Drängende Talkshow-Fragen nach Integration, Abschottung, Willkommens- und Leitkultur spielen bei seinen Beobachtungen nur im Hintergrund eine Rolle; Heller will mit seinem einfühlsam-eindringlichen Film keinen Debattenbeitrag, schon gar keine fertigen „Rezepte“ liefern. Aufgrund dieser Zurückhaltung, die sich in unaufgeregten, mit ruhiger Hand und weitem Blick eingefangenen Impressionen niederschlägt, befreit er seine Protagonisten aus dem Assoziationskorsett ideologischer Kontroversen.
Heller kehrt die europäische Perspektive um und erzählt von Afrika aus. Flüchtlinge sind handelnde Individuen. Die Brüder Aladji und Souley machen sich von der kleinen Fischerinsel Niodior nacheinander auf den Weg nach „Saaraba“, ins verheißene Land: Europa. Aus dem Off erzählt ihr Cousin Saliou Sarr, zugleich Co-Regisseur des Films, ihre Geschichte. Sarr liebt seine Heimat Niodior und „Mama Afrika“, wie es in dem schönen, leitmotivisch arg überstrapazierten Titelsong heißt. Er glaubt daran, dass es sich lohnt, vor Ort etwas aufzubauen. Die meisten jungen Menschen aber sehen auf der verarmten Insel keine Zukunftsperspektive. Acht von zehn in seinem Alter, so Sarr, seien irgendwann nach Europa geflohen, der Kampf gegen die Wellen des Atlantiks sei für sie zu einer Art Initiationsritus geworden. Jedes Mädchen auf der Insel träume davon, einen aus Europa zurückkehrenden Helden zu heiraten. Und jeder kleine Junge davon, einer dieser Helden zu werden.
Aladji, der ältere Bruder, ist dem Traum gefolgt. Als Bootsflüchtling gelangte er noch vor der Wirtschaftskrise 2008 nach Spanien, wo er sich bis heute mit Gelegenheitsjobs in der Fischerei oder auf Gemüseplantagen durchschlägt. In Spanien ist er lediglich geduldet, weshalb er nicht wieder einreisen könnte, wenn er das Land einmal verlassen müsste. Seine Heimat und seine Frau auf Niodior hat er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, nur übers Telefon sind sie in Kontakt. Seine Träume sind mehr und mehr der Ernüchterung gewichen, seine Hoffnung auf regelmäßige Arbeit und eine Aufenthaltsgenehmigung haben sich nicht erfüllt. Dennoch kehrt er nicht zurück. Auch sein jüngerer Bruder Souley ist fest entschlossen, Aladji zu folgen. Er hofft auf eine Arbeit als Fliesenleger. Früher hatte sein Vater legal als Gastarbeiter in Frankreich gearbeitet, doch damals war alles einfacher; auch wenn der Vater weiß, dass Europa kein Schlaraffenland ist, hält er seinen jüngsten Sohn nicht zurück.
Die Migranten aus Europa bezahlen die Hälfte allen Fortschritts auf der Insel, erklärt Sarr. Er selbst lebt als Künstler und Musiker auf Niodior und versucht, andere wie Souley davon zu überzeugen, dass auch Afrika eine Perspektive hat. Vorläufig allerdings vergeblich. Es gelingt Sarr nicht, seinen Cousin von der Flucht abzuhalten; Souley glaubt fest an seine Bestimmung in Europa. Mit Hilfe von Schleppern und Bestechungsgeldern schlägt er sich nach Jahren des Wartens bis nach Marokko durch. Als Sarr und das Filmteam ihn dort wiedertreffen, hat er bereits zehnmal versucht, nach Spanien zu kommen. Stets hat ihn die Küstenwache abgefangen.
Andere Flüchtlinge erzählen, wie sie morgens aus ihren Unterkunft geschleift und ins Meer getaucht wurden; die Grenzwächter würden dafür ein Kopfgeld kassieren, das die marokkanischen Behörden bezahlen, um so das Rückführungsabkommen mit Spanien zu erfüllen. Auch bei ihnen stößt Sarr mit seinen Warnungen auf taube Ohren. Selbst mit Krise, sagt einer von ihnen, sei Europa noch tausendmal besser als Afrika. Gegen diese Überzeugung kommt Sarr mit seinen poetischen Verklärungen nicht an. In europäischen Städten vereinzeln die Menschen, behauptet er, „mein Afrika dagegen quillt über vor der Kraft des gemeinsamen Lebens“.
Nur in wenigen Momenten erliegt die atmosphärische Montage einem solchen plakativen Dualismus von Idyllisierung und Dämonisierung. Meist begnügt sich der Film mit der Chronistenpflicht des geduldigen Zuhörens und genauen Hinschauens. Dazu gehören aber auch Bilder von Leichen, die an den Strand geschwemmt werden. Jeder in Niodior, so Sarr, habe einen Verwandten, der im Meer ertrunken ist. Aber solange „Saaraba“ jenseits davon liegt, werden die jungen Männer von Niodior wieder und wieder versuchen, es zu überqueren.
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