Nun hat Danny Boyle endlich einen zweiten „Trainspotting“-Film gedreht. Von einer Fortsetzung des aufsehenerregend herben Kultfilms zu sprechen, mit dem dem britischen Regisseur vor mehr als 20 Jahren der Durchbruch gelang, wäre aber zu kurz gegriffen. „T2 Trainspotting“ führt zwar durchaus die Geschichte(n) und Biografien von „Trainspotting“
(fd 32 052) weiter. Es ist aber zugleich auch eine dem postmodernen Gestus der wiederholten Lektüre und des Zitats verpflichtete neuerliche Auseinandersetzung des Regisseurs mit dem gleichnamigen Roman von Irvine Welsh, in die sich Versatzstücke aus Welshs Fortsetzungsroman „Porno“ (2002) mischen. Und, das macht „T2 Trainspotting“ für eingefleischte Boyle-Fans und all jene, denen „Trainspotting“ in seiner grobknalligen Unbeschöntheit wie eine Erleuchtung vorkam, besonders interessant: es ist auch eine Beschäftigung des Regisseurs mit seinem eigenen Film, dessen losen Enden, sowie der Erinnerung.
Im Zentrum stehen erneut Mark Renton und sein Pack: vier Kerle, 20 Jahre älter, gezeichnet von der Zeit, verkörpert von den gleichen Schauspielern. Ihre Wege haben sich damals nach dem Coup in London getrennt. Renton (Ewan McGregor), der sich mit der ergaunerten Beute aus dem Staub gemacht hatte, lebt seit einigen Jahren in Amsterdam und ist in der Software-Branche tätig. Sick Boy (Jonny Lee Miller), Rentons bester Freund aus Kindheitstagen, ist nach wie vor ein eifriger Koks-Konsument. Er betreibt inzwischen den heruntergekommenen Pub, in dem sich die Gruppe früher traf. Im Hinterzimmer dreht er mit einer bildhübschen Bulgarin heiße Erpresservideos. Und dann sind da noch Spud (Ewen Bremner), der nach einem ehrenvollen Versuch, ein anständiges Leben zu führen, wieder Vollzeit-Junkie ist, und der nach wie vor aufbrausende, zur Gewalttätigkeit neigende Begbie (Robert Carlyle), der nach langer Haftstrafe gerade wieder auf freien Fuß ist.
Renton kehrt nach dem Tod seiner Mutter erstmals wieder nach Edinburgh zurück. Er steckt in einer Krise. Beim Besuch des Vaters steht er etwas verloren in seinem nach wie vor mit schriller Lokomotiv-Tapete ausgelegten Kinderzimmer. Mal mehr, mal weniger zufällig kreuzen sich die Wege des einstigen Quartetts. Doch im Unterschied zu „Trainspotting“, der hauptsächlich aus Rentons Sicht erzählt ist, bricht „T2“ die Gradlinigkeit zugunsten einer quirligen Mehrschichtigkeit auf, was auch über die etwas magere Story hinwegtäuscht. Denn so viel ist in der Fortsetzung gar nicht los. Stattdessen steht viel Emotionalität im Raum. Die aufgestaute Wut über Rentons unkollegialen Abgang; fast schon tantramäßig kehrt der Spruch „Zuerst war da eine Gelegenheit… später passierte ein Verrat“ wieder, wobei er sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bezieht. Dazu kommt ein gewisses Ressentiment, eine wenig herbe Zärtlichkeit, unerfülltes sexuelles Verlangen und dank der Bulgarin, die neu mitmischt im Spiel, auch eine pragmatische (Mit-)Menschlichkeit. Er solle, rät sie dem todunglücklichen Spud, die vielen Geschichten, die er immer erzähle, doch einfach niederschreiben, damit man sie veröffentlichen könne. Spud wird so zum Chronisten und zur Seele von „T2“, eine Rolle, die dem sprenzligen Ewen Bremner gut steht.
Danny Boyle erzählt in gewohnt sprudelnder Bildlichkeit. Wenn Sick Boy und Renton Koks schnupfen, steht die Videolandschaft an der rückwärtigen Zimmerwand Kopf. Und wenn sich Spud mit einem Plastiksack überm Kopf umzubringen versucht, stürzt er rücklings vom Hochhaus. Die Bilder sind oft schräg und angeschnitten, die Farben, sofern nicht dunkle Nacht herrscht, poppig bunt. Häufig wird wild gerannt, oft gefahren; zu den unvergesslichen Szenen gehört eine endlose Kamerafahrt rückwärts aus Rentons Kinderzimmer in einen ewigen Tunnel. Das fühlt sich so an, als ob man in einem Zug aus dem hintersten Fenster schaut, wenn das Zimmer kleiner und kleiner wird. Kameramann Anthony Dodd Mantle hat sich unübersehbar und zum Besten des Films an der Arbeit seines Vorgängers Brian Tufano orientiert. So unverhofft, wie auf dem Soundtrack alte „Trainspotting“-Stücke anklingen, etwa Iggy Pops „Lust for Life“ oder „Perfect Day“ von Lou Reed, hier gesungen von Rick Smith, blitzen auf der Leinwand mitten im Geschehen Rückblenden auf, etwa wenn Renton und Spud plötzlich wieder als Jugendliche durch die Straßen von Edinburgh rennen.
Auch wenn „T2 Trainspotting“ den leisen Hauch eines Klassentreffens verströmt und weder den unverbrauchten Drive noch die derbe Unverschämtheit seines Vorgängers erreicht, ist der Film durchaus geglückt. So wie er all jene mitnimmt, die „Trainspotting“ nicht kennen, so wenig enttäuscht er die eingefleischten „Trainspotting“-Fans.