Drama | Tschechien/Deutschland/Slowenien/Frankreich/Slowakei 2015 | 94 Minuten

Regie: Olmo Omerzu

Ein Ehepaar lässt seine zwei Kinder allein in Prag zurück und bricht mit dem Hund zu einem Segeltörn in die Karibik auf. Die beiden Jugendlichen genießen ihre Freiheit, doch bald läuft die Ungebundenheit aus dem Ruder, und als der Kontakt zu den Eltern abbricht, rechnen alle mit dem Schlimmsten. Das leise Familiendrama nimmt sich Zeit und beobachtet genau die durchdachte, präzise ausgearbeitete Handlung. Dabei wartet die eher kühle, durch die Erzählebene um den Hund ironisch gebrochene Versuchsanordnung mit Wendungen auf, die nur wenig über die Bindekraft familiärer Strukturen enthüllen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RODINNY FILM
Produktionsland
Tschechien/Deutschland/Slowenien/Frankreich/Slowakei
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Endorfilm/42film/Česká televize/Arsmedia/Rouge Int./Punkchart Films
Regie
Olmo Omerzu
Buch
Olmo Omerzu · Nebojsa Pop Tasic
Kamera
Lukás Milota
Schnitt
Jana Vlcková
Darsteller
Karel Roden (Igor) · Vanda Hybnerová (Irena) · Daniel Kadlec (Erik) · Jenovéfa Boková (Anna) · Eliska Krenková (Kristýna)
Länge
94 Minuten
Kinostart
02.02.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Leises, genau beobachtendes Drama über Freiheit und Bindung

Diskussion
Seine Familie kann man sich bekanntlich nicht aussuchen, sein Herrchen auch nicht. Der Border Collie Otto hat Glück gehabt. Er lebt bei einer wohlhabenden Familie in Prag, wird von allen geliebt und darf mit auf den Segeltörn, zu dem Mutter Irina und Vater Igor aufbrechen. Ein Lebenstraum, der endlich in Erfüllung geht, jetzt, wo die Kinder herangewachsen sind. Der 15-jährige Erik und seine ältere Schwester Anna bleiben in Prag zurück; sie sollen zur Schule beziehungsweise zur Uni gehen. Ein Konto ist eingerichtet; den Kindern soll es an nichts mangeln. Weihnachten, so die Planung, werden sie nachkommen, die Flüge sind schon gebucht. Kontakt gibt es via Skype, und außerdem ist auch noch Igors Bruder Martin da. Was soll schon schiefgehen? Eine ganze Menge natürlich. „Familienfilm“ ist der zweite Spielfilm des in Prag lebenden Slowenen Olmo Omerzu. Es ist ein leiser Film, der sich Zeit nimmt und hinschaut. Das Chaos beginnt fast unmerklich, mit Entscheidungen und Ereignissen, die etwas in Gang setzen. So zieht, kaum sind die Geschwister vom Flughafen zurück, Annas Freundin Kristina in die Wohnung ein, wo sie ihre Fähigkeiten als Vamp an Erik erprobt. Der ist für solche Experimente nicht gerüstet und verfällt Kristina im Nu, während Anna befremdet zusieht. Die Freiheit und Ungebundenheit entwickelt sich für die Kinder wie für die Eltern zunehmend vom Versprechen zur Bewährungsprobe und schließlich zur Belastung. Erik kämpft mit seinem Liebeskummer, Anna mit der Verantwortung für sich und ihren Bruder, der die Schule schwänzt und sich immer mehr verschließt. Martin muss schließlich für Strukturen und Halt sorgen. Als der Kontakt zu den Eltern abbricht, gehen alle vom Schlimmsten aus. Auch der Zuschauer, denn nun eröffnet sich eine zweite Ebene, auf der es um den Überlebenskampf des Hundes Otto geht, der allein auf einer einsamen Insel gestrandet ist, und dem der Film erstaunlich viel Aufmerksamkeit schenkt. Wie schon in seinem Spielfilmdebüt „Prílis mladá noc“ / „A Night Too Young“ (2012) interessiert sich Omerzu auch in „Familienfilm“ für zwischenmenschliche Dynamiken. Wo die beiden 12-jährigen Protagonisten in „A Night Too Young“ geradezu in die fremde Welt der Erwachsenen gestoßen werden, sind nun beide Sphären streng getrennt. Er wolle, so der Regisseur, „die Funktion der Familie in der heutigen Gesellschaft“ verstehen. Die Gesellschaft bleibt als Einfluss jedoch weitgehend außen vor. „Familienfilm“ mutet wie ein isolierter Laborversuch an: Was passiert, wenn man die Eltern aus den familiären Strukturen entfernt? Welche Kräfte werden freigesetzt? Wie wirkt sich dies auf die Familie, die Mitglieder, die innere Balance aus? Die Folgen halten Omerzu und sein Drehbuchkollege Nebojša Pop-Tasić in einem sehr präzisen und durchdachten Skript fest, wobei sie ihre beobachtende Haltung nie aufgeben. So wird man beim Zuschauen stets auf Distanz gehalten – auch durch das kühle Spiel der Darsteller, die in einer entfärbt wirkenden Welt agieren. Am meisten Empathie erhält Otto auf der Insel, der Regen und Sturm trotzt und immer wieder aufs Meer hinaus bellt, bis er aufgibt. Sein Herrchen kommt einfach nicht. „Familienfilm“ wartet mit allerhand Wendungen und Drehungen auf. Über die gesellschaftliche Funktion der Familie erfährt man dabei jedoch nur wenig, dafür aber über ein Geheimnis, das im Kern dieser Familie angelegt ist und das alles in Frage stellt – das Konzept Familie, das eigene Selbstbild und möglicherweise sogar die Liebe. Was bleibt, ist die Frage, was die Vier mit all ihren unterschiedlichen Rollen und Funktionen zusammenhält oder vielmehr noch zusammenhalten kann? Es sieht am Ende nicht gut aus für Irina, Igor, Erik und Anna. Wahrscheinlich brauchen sie einen Hund wie Otto, um zu retten, was zu retten ist.
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