Drama | Kambodscha/Frankreich/Deutschland/Thailand/Katar 2016 | 103 Minuten

Regie: Davy Chou

Ein 18-jähriger Kambodschaner aus der Provinz findet auf einer Insel nahe der Hauptstadt Phnom Penh Arbeit auf einer Großbaustelle. Eines Tages begegnet er seinem Bruder wieder, der den Kontakt zur Familie abgebrochen hat und nun den Jüngeren ins Nachtleben der Insel einführt. Das melancholische, traurig-schöne Spielfilmdebüt beobachtet in atmosphärisch dichten Bildern eine sich entdeckende Jugend und löst ihre Erkundungen und Ernüchterungen in zarte Begegnungen, schillernde Farben, lange Kamerafahrten und ruhige Pop-Musik auf. So, wie der Film damit verzaubert, macht er doch stets auch die Grenzen des sozialen Aufstiegs schmerzhaft bewusst. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DIAMOND ISLAND
Produktionsland
Kambodscha/Frankreich/Deutschland/Thailand/Katar
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Aurora Films/Arte France Cinéma/Anti-Archive/Vandertastic Films/KNM/Garidi Films/Vycky Films/185 Films/VS Service
Regie
Davy Chou
Buch
Davy Chou · Claire Maugendre
Kamera
Thomas Favel
Musik
Jérémie Arcache · Christophe Musset
Schnitt
Laurent Leveneur
Darsteller
Nuon Sobon (Bora) · Nov Cheanick (Solei) · Chhem Madeza (Aza) · Korn Mean (Dy) · Nut Samnang (Virak)
Länge
103 Minuten
Kinostart
19.01.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Traurig-schönes Jugenddrama aus Kambodscha

Diskussion
Es gibt jene mit Roller und jene ohne Roller. Wer keinen Roller besitzt, sitzt in der Armutsfalle fest. Wer einen Roller hat, dem stehen die weiten Avenuen, das Stadtzentrum auf der anderen Seite des Flusses, die Herzen der Mädchen offen. Und vielleicht auch die Zukunft. Als Bora mit 18 Jahren aus der kambodschanischen Provinz in die Hauptstadt Phnom Penh aufbricht, weiß er davon noch nichts. Er sitzt im offenen Kofferraum eines überladenen Minibusses, lässt sich den Wind durch die Haare wehen und den süßen Saft von Zuckerrohr schmecken. Großstadt, Hochhäuser im Rohbau – geplant sind „multinationale Ausstattung“, „europäische Architektur“ und „himmlisches Wohngefühl“. Wie viele ungelernte junge Arbeiter beginnt Boras Stadtleben auf den Baustellen von Diamond Island, einer Insel vor Phnom Penh, auf der ein neuer Luxusstadtteil aus dem Boden gehauen wird. In den Anfangsbildern seines Spielfilmdebüts nutzt der französisch-kambodschanische Regisseur Davy Chou eine klassische Kontrastmontage, um Drama zu antizipieren. Auf die traditionellen Stelzenhäuser aus Stroh in Boras Heimatdorf folgt die alles überziehende Betondecke der modernen Stadt, wo sich Arm und Reich treffen. Doch an der Zukunft wird hier gerade gebaut, und so entsteigt, reingewaschen vom Baustaub des Tages, jeden Abend eine strahlende, zurechtgestylte Jugend den Wellblechhütten und sucht nach einem Stück vom Glück. Als Bora eines Nachts seinen Bruder auf einem Roller vorbeifahren sieht, wirkt dies wie ein weiterer Silberstreif am Horizont. Bora geht los, dem Bruder hinterher, nimmt Kontakt auf. Schon seit einigen Jahren lebt Solei in Phnom Penh und meldet sich seither nicht mehr bei der Familie. Sein cooler Look, die vergleichsweise hellhäutige Freundin, das iPhone und der Roller suggerieren, dass er es geschafft hat, sich der vererbten Arbeiterhaut zu entledigen. Er studiere jetzt, erzählt er, und einen „Sponsor“ habe er. Details bleiben ungesagt. Ohnehin ist „Diamond Island“ ein schweigsamer, kontemplativer Film, getragen von Vermutungen, Ahnungen, Träumen, Illusionen. Je weiter die Handlung fortschreitet, je öfter Bora seinen Baustellenkumpeln absagt, um mit Solei und dessen Clique durch die Stadt zu cruisen, desto mehr geraten die anfangs etablierten Kategorien ins Flottieren. Kaum geschieht etwas Greifbares; hier eine vage Hoffnung auf ein Leben in den USA, dort sehnsuchtsvolle Karaoke-Darbietungen, zaghafte Annäherungen, ein langersehnter zarter erster Kuss ohne Folgen. In langen nächtlichen Fahrten treiben Bora und seine Freunde orientierungslos durch die künstliche Stadt, begleitet von den verheißungsvoll-bunten Neonlichtern des Amüsements, getragen von einem ruhigen Pop-Soundtrack, in dem stets ein Hauch Melancholie mitschwingt. Viele Totalen und mit Drohnen gefilmte Luftaufnahmen öffnen den Raum und geben den Blick auf weite Flächen frei, auf denen die Jugendlichen Platz für ihre Bewegungen finden. Aber sie offenbaren auch, dass ein vermeintlicher Strand doch nur ein Brachland mit Bausand ist, dass die Prachtbauten noch Gerippe sind und die Insel wohl nur solange Lebensraum für sie bietet, bis die Hautevolee ihre Quartiere bezogen hat. Mit poetisch anmutenden Stimmungsbildern, geerdet durch die bittersüße Realität des Schauplatzes und die sich gewissermaßen selbst spielenden Laiendarsteller, gelingt Davy Chou das zauberhaft vielsagende Porträt einer Jugend, die sich und ihre Möglichkeiten auslotet. Der junge Regisseur wirft einen atmosphärisch dichten Blick in ein Land, das auf der Filmlandkarte selten in Erscheinung tritt. Als Enkel eines führenden Filmproduzenten Kambodschas, der flüchtete, bevor die Roten Khmer in den 1970er-Jahren die Filmindustrie des Landes zerstörten, knüpft Chou auf seine eigene Weise an die Arbeit des Großvaters an. Nachdem er den Anfängen des kambodschanischen Kinos bis zu dessen Auslöschung im Dokumentarfilm „Golden Slumbers“ (2011) ein filmisches Denkmal setzte, trägt er nun mit einem kunstvollen Gegenwartsfilm zur Wiederbelebung Kambodschas als Filmland bei. Die Traumata der Vergangenheit sind in „Diamond Island“ nur mehr zu erahnen. Die neue Welt auf der Insel steht vielmehr stellvertretend für eine unbedingte Hinwendung Richtung Zukunft. Sie schürt Hoffnungen, Projektionen und die Illusion von Durchlässigkeit. Doch Bora muss erfahren, dass ein neuer Stadtteil, ein Smartphone und ein Roller nicht unbedingt alte Gesellschaftsstrukturen auflösen. Zwar findet er seinen Platz, dennoch stürzen auf dem Weg dorthin ein paar Luftschlösser ein. Noch steht das Leben auf Ruinen in diesem traurig-schönen Film.
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