Dokumentarfilm über Menschen, die bei der Weinlese in einem südfranzösischen Anbaugebiet für mehrere Wochen zusammenfinden. Im zurückgenommenen „direct cinema“-Stil begleitet die Kamera einzelne Erntehelfer und ihr temporäres Kollektiv, was sich zu einer eindringlichen Beobachtung des französischen Prekariats weitet. Die eigentliche Weinlese gerät dabei zugunsten ihrer gesellschaftlichen Bedeutung als saisonaler Ort der Arbeit und Begegnung in den Hintergrund. Mit einfachen Mitteln reflektiert der Film so das komplizierte Wirrwarr des Lebens zwischen Existenzsicherung und Sinnsuche angesichts von Wirtschaftskrise und Verstädterung. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
Von Trauben und Menschen
Dokumentarfilm | Frankreich 2014 | 77 Minuten
Regie: Paul Lacoste
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Filmdaten
- Originaltitel
- VENDANGES
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Everybody on the Deck
- Regie
- Paul Lacoste
- Buch
- Paul Lacoste
- Kamera
- Yvan Quéhec
- Musik
- Olivier Cussac
- Schnitt
- Anthony Brinig
- Länge
- 77 Minuten
- Kinostart
- 01.09.2016
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über eine Gruppe von Menschen, die während der Weinlese in Südfrankreich für einige Wochen zusammenfinden.
Diskussion
Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Dick und reif hängen die Trauben an den Reben. Auf dem Domaine Plageoles im Gaillac, einem Weinanbaugebiet nordöstlich von Toulouse, steigen rund 20 Erntehelfer in einen Kastenwagen. In den nächsten Wochen werden sie Tag für Tag zu den Rebstöcken fahren, die Trauben von Hand lesen, zusammen essen, wohnen und leben.
Es liegt nahe, dass die Dokumentation von Paul Lacoste solche Jahr für Jahr wiederkehrenden Ereignisse chronologisch im Rhythmus der Weinernte abbildet. Die Menschen kommen, arbeiten und gehen. So war das schon immer, so ist es noch heute. Doch obwohl die Trauben den Ort und die Bewegungen der Menschen und somit auch des Films vorgeben, erzählt Lacoste von etwas völlig anderem: vom temporären Kollektiv, das sich nur für diese Zeit im Jahr bildet, von Frauen und Männern, die bei dieser Arbeit zusammenfinden.
Im Grunde eine Idylle: Das Wetter ist noch sommerlich, die Arbeiter stehen in den Gassen zwischen den Reben, plänkeln, lachen und plaudern über den Sohn, die neue Haarfarbe, die herrliche Arbeit in der Natur. Anfangs schaut die Kamera von oben auf Menschen, die sich wie fleißige Ameisen im Sonnenschein in den Gassen des Weinbergs verteilen. Einen Schatten wirft lediglich die eingeblendete Schrifttafel voraus: „Früher kamen sie aus Spanien, Polen, Marokko. Heute muss man nicht mehr in der Ferne nach Saisonarbeitern suchen.“
Bereits in „Entre les Bras – 3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche“ (2011, (fd 41 193)) ging es dem Regisseur weniger um die kulinarischen Kreationen der Spitzenköche Michel und Sébastien Bras, sondern um die Gefühle und Reibungen bei der Übergabe eines Familienbetriebs vom Vater an den Sohn. Auch in „Von Trauben und Menschen“ erfährt man kaum etwas über Wein, dessen Anbau und Ernte. Vielmehr entsteht nach und nach, mit jedem Schlaglicht, das der Film auf die einzelnen Erntehelfer wirft, ein Porträt des französischen Prekariats. Da ist ein Rentner, der gegen die Langeweile arbeitet und seine knappe Rente aufbessert. Oder eine aus dem hektischen, überteuerten Paris aufs Land geflüchtete Malerin, die sich mit einem kleinen Bistro und der Weinernte über Wasser hält. Für eine ehemalige Fabrikangestellte ist die Saisonarbeit die einzige Möglichkeit, in der ländlichen Region überhaupt noch eine Tätigkeit zu finden. Eine junge Familie hingegen hat sich bewusst für die Freiheiten entschieden, die solche Kurzeinsätze bieten. Im Sommer schuften, im Winter pausieren: so bleiben die Mitglieder gewissermaßen ihr eigener Herr.
Zu den distanzierten, unkommentierten Beobachtungen des Weinlesens und Traubensaft-Gewinnens im „direct cinema“-Stil fügen sich Kurzporträts von Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichsten Hintergründen, die für den kurzen Moment des Interviews den Blick in ihr Dorf, ihr Haus, ihre Werkstatt, ihre Gedankenwelt öffnen. Je näher der Herbst und das Ende der Lese rücken, je mehr Wolken aufziehen, desto mehr zeigt die Häufung der Gespräche: Im Kokon des gemeinsamen Arbeitsauftrags mag eine vergnügte Gemeinschaft entstanden sein, die durchaus Glücksmomente bereithält, doch für den Rest des Jahres kämpft jeder für sich allein.
Mit einfachen filmischen Mitteln, einer einfachen Struktur, einem fast banal überschaubaren Projekt und schlichter Wettermetaphorik gelingt dem Film ein unaufgeregter Blick in den komplizierten Wirrwarr des Lebens zwischen Existenzsicherung und Sinnsuche vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Verstädterung. Harte körperliche Arbeit geht mit dem Glück einher, im Freien etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. Konflikte mit sich selbst und den anderen lösen sich in geselligen, feuchtfröhlichen Traditionen rund um die Weinlese. Mensch, Natur, Kultur – der Film reflektiert ein uraltes Verhältnis, das jede Generation neu ausloten muss. Nicht mehr, nicht weniger.
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