Seitdem Alex Gibney 2008 für seine Recherche „Taxi zur Hölle“ mit einem „Oscar“ für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, hat der Amerikaner seine Produktivität in erstaunliche Höhen getrieben. Er produziert Dokumentationen am Fließband. Neben materialreichen Musikdokumentationen zu James Brown, Fela Kuti, Frank Sinatra oder Janis Joplin und betont „unbequemen“ Porträts über Steve Jobs und Lance Armstrong widmet er sich aus der Perspektive dessen, der unbeirrt für demokratische Werte eintritt, vorzugsweise umstrittenen Polit-Themen wie Wikileaks, Scientology, Missbrauch in katholischen Einrichtungen oder Wirtschaftskriminalität. Zur letzteren Gruppe von Filmen zählt auch „Zero Days“, eine umfassende, wenngleich auch etwas unkonzentrierte Recherche in Sachen „Cyber-War“, die trotzdem ganz traditionell und spekulativ wie ein herkömmlicher Agententhriller mit der Ermordung eines iranischen Atomwissenschaftlers in den Straßen von Teheran beginnt. Doch dieses Puzzleteilchen erlangt erst spät im Film seine Bedeutung.
Eigentlicher Ausgangspunkt ist ein komplexes Malware-Programm namens „Stuxnet“, das 2010 entdeckt wurde und dessen Qualität darauf hindeutete, dass es von einem Staat in Auftrag gegeben wurde. Das Ziel von Stuxnet, das sich nur aktiviert, wenn eine bestimmte Anzahl von Parametern vorhanden sind, war offensichtlich die iranische Atomanlage in Natanz, was darauf hinzudeuten scheint, dass es sich hierbei um eine Zusammenarbeit der USA und Israels handelte. Bis heute hat sich allerdings niemand offiziell als Quelle von Stuxnet bekannt.
Gibney hat einschlägige Zeitzeugen wie einen ehemaligen CIA-Direktor vor die Kamera geholt, die jedoch stets lächelnd zu Protokoll geben, dass sie nichts wissen. Oder wenn sie etwas wüssten, nichts dazu sagen könnten, weil der gesamte Komplex der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliege. Gewiss dürfe man fragen; doch auf Antworten solle man nicht hoffen. Diese Bedeutung heischende Rhetorik älterer Herren ist nicht ohne Humor und provoziert nicht zuletzt den Filmemacher, der sich eines fiktiven Hilfsmittels bedient, um überhaupt etwas erzählen zu können. Gibney „bastelt“ sich einen virtuellen Whistleblower, der sich aus einer Vielzahl ungenannt bleibender Quellen zusammensetzt, und kann so einige Zusammenhänge herstellen, die sonst wohl nicht zu haben gewesen wären.
Längst hat sich der Cyber-War als Pfeiler der Kriegsführung im 21. Jahrhundert etabliert. Statt um Überwachung und Sammlung von Daten geht es um die Erkundung von Möglichkeiten, die Infrastruktur eines potenziellen Gegners entscheidend zu zerstören. Stuxnet war insofern nur ein Prototyp, der als Teil eines viel umfassenderen Programms namens „Olympic Games“ konzipiert wurde und nur durch die Ungeduld des Mossad „enttarnt“ werden konnte.
„Zero Days“ changiert thematisch zwischen der rekonstruierbaren Geschichte von Stuxnet und dem eher theoretischen Ausmalen dessen, was unter Cyber-War-Szenarien seit 2010 firmiert. Um die Abfolge der Talking Heads aufzulockern, aber den Zuschauer nicht mit der Komplexität der technologischen Prozesse zu überfordern, setzt Gibley den Cyberspace in „Matrix“-Manier mit Special Effects in Szene und baut auf eine unheilvoll dräuende Klanglandschaft; außerdem flicht er den einen oder anderen, eigentlich überflüssigen, Exkurs zur Geschichte des iranischen Atomprogramms mit ein, dessen Spuren nach Pakistan führen, um seinen „Doku-Thriller“ auf die gehörige Länge zu strecken.
Denn letztlich geht es dem Film um wenig mehr als um die Forderung nach mehr Transparenz im Umgang mit dem Themenkomplex „Cyber-War“, der bislang immer unter höchster Geheimhaltungsstufe firmierte. Es ist ein Zirkel: Wenn die mit dem Thema befassten Experten nichts dazu sagen dürfen, weil der Komplex als „over-classified“ gilt, dann existiert für eine demokratische Gesellschaft keine Möglichkeit, die Thematik aus der Dunkelzone des Unkontrollierten ins Forum öffentlichen Räsonnements zu befördern.
Auf der anderen Seite scheint Gibneys Beharren auf dem demokratischen Prozedere und dessen Ethik der Realität wie schon im Falle von „We Steal Secrets“
(fd 41 790) etwas hinterherzuhinken. Was dem „Transparenz“ und „Öffentlichkeit“ fordernden Film auch klar geworden sein dürfte, als er selbst auf die wenig transparente Idee eines virtuellen Whistleblowers setzte, um die Thematik zu stemmen.