Körnige Aufnahmen zeigen zwei frisch geborene Lebewesen, ein Menschenbaby und ein zitterndes Hamsterjunges. Ein kleiner Junge stößt seinem lachenden Vater im Spiel einen Holzpflock gegen die Brust. Wie Erinnerungen muten diese Anfangsbilder an. „Kann ich noch einen Traum haben?“, bettelt Oscar kurz darauf seinen Vater vorm Schlafengehen an. Und der Vater erzählt: Von einem Friedhof voller Vampire, super gefährlich, und von Frauen, super sexy, die Oscar umgeben sollen. Dabei bläst er einen Luftballon auf, stülpt die kleine Öffnung auf die Stirn seines Sohns und lässt langsam die Luft entweichen. Als flöße er das Traummaterial direkt in Oscars Gehirn. Kurz darauf verlässt die Mutter die kleine Familie, und Oscar, der sich nur seiner sprechenden Hamsterdame Buffy (Stimme: Isabella Rossellini) anvertrauen kann, wird Zeuge einer furchtbaren Gewalttat: Regungslos vor Angst muss er auf einem Friedhof beobachten, wie eine Gruppe Jungen einen Schwächeren zusammentritt, mit einem Eisenrohr vergewaltigt und schwer verletzt. „Weil er homosexuell ist“, entgegnet der Vater abends Oscars Frage nach dem Warum. „Und deine langen Haare müssten auch mal geschnitten werden.“
Wie ein Albtraum muten diese Erlebnisse einer zunächst so behütet erscheinenden Kindheit an, in einem Haus, das ständig im Schatten zu liegen scheint. An die zehn Jahre später ist es an Oscar, endlich aufzuwachen. Pendelnd zwischen den getrennten Eltern, weiß der junge Mann auch sexuell nicht genau, wohin mit sich. Nur der Traum von einem Maskenbild-Studium in New York, für den er seine beste Freundin mit Monster-Hörnchen beklebt und ablichtet, stellt eine Konstante in seinem Leben dar. Da taucht im Baumarkt, in dem Oscar jobbt, der attraktive Wilder auf. Doch so einfach, wie Oscars Gefühle in einer sich als aufgeklärt empfindenden Umwelt sein könnten, sind sie nicht ist: Urplötzliche Bauchkrämpfe, horreske Erinnerungen, eine Art Stange, die seinen Bauch zu durchbohren scheint, suchen Oscar heim, vor allem in Verbindung mit seinem Begehren von Wilder. Oscar ist in sich gefangen, und daran scheint sein Vater nicht ganz unschuldig.
Wer in Kanada einen Gay-Stoff mit jungen Figuren im Clinch mit sich und ihren Eltern anpackt, sollte einen Vergleich mit Xavier Dolans Filmen nicht scheuen – und das braucht Stephen Dunn nicht. Kleine Referenzen, etwa Oscars angeekelter Blick auf den essenden Mund des Erzeugers, wie ihn Hubert in „I Killed My Mother“ (2009) unternahm, weichen einer ganz eigenen, schnörkelloseren und doch kraftvollen Handschrift, in dem sich schön hintergründig die schädlichen Ressentiments eines Vaters entfalten. „Coming out“ stammt von „Coming out of the closet“, das sich bei Oscar darin offenbart, dass er seinen Vater erst einmal in einen Kleiderschrank treten muss, um auf „diese Schwuchtelparty“ gehen zu können. Das Monster im Schrank, das daraufhin so unreif und impulsiv reagieren wird wie die Jugendlichen des Anfangs, ist am Ende ein Erwachsener.
Wie selbstverständlich bespielt Dunns Debütfilm dabei Saiten, die sich andere Jugenddramen selten anzuzupfen trauen: Beiläufig machen Zigaretten, aber auch ein Joint oder eine Pille die Runde. Oscar muss sein erstes Mal wenig romantisch auf einer Toilette mit einem Fremden erleben, da sich Wilder als sexueller Hasardeur entpuppt, der auf beiden Seiten operiert. Ein von Wilder in Oscars Mund laufendes Wasserrinnsal erscheint Oscar wie ein Wasserfall in seinem ausgedörrten Begehren. Fantasie mischt sich mit Realität, schöne, aber auch schreckliche Bilder entspringen Oscars Einbildung, ohne dass sie sofort als imaginiert ausgestellt werden. Durchaus blutig, mal humorvoll, dann wieder todtraurig und immer wieder fantastisch bleibt „Closet Monster“ dennoch authentisch – nicht zuletzt durch die Musik von Austra oder Nils Frahm, die Oscar über seine Kopfhörer auf die Ohren gelegt werden. Oscars Gefühle, seine Wut und Traurigkeit, alles wird so klar, zu einem Zeitpunkt, an dem er das eigene Leben in die Hand nehmen muss. Coming out im Coming of Age – oder wie es Buffy am Ende ausdrückt: Es wird Zeit für einen eigenen Traum.