Es ist nicht immer einfach, ein Kind zu sein. Ständig wird einem gesagt, was man tun oder lassen soll, man wird unterschätzt oder nicht ernst genommen. Auch die Waise Sophie glaubt, dass sie nur „ein wertloses Kind“ ist. Deshalb kümmert es auch niemanden, als sie eines Nachts von einer gewaltigen Hand aus ihrem Bett gehoben und in ein fernes Land entführt wird. Doch zum Glück hat sich Roald Dahl ihre Geschichte ausgedacht, der sich in seinen Kinderbüchern immer auf die Seite seiner jungen Helden und Heldinnen stellt. Denn sie sind zumeist noch nicht verbogen und verdorben, allein deshalb meist liebenswerter, weiser und mutiger als viele Erwachsene. Und: Sie glauben noch an Wunder.
So bekommt Sophie einen Gefährten, der nicht nur so groß wie ein zweistöckiges Haus, sondern auch mit einem entsprechenden Herzen ausgestattet ist: einen BFG, einen „Big Friendly Giant“. Gemeinsam wollen sie die Welt von neun scheußlichen Riesen mit Namen wie Mädchenmanscher oder Kinderkauer sowie einem unstillbaren Appetit auf Menschenfleisch befreien, die bald auch Sophies Witterung aufnehmen.
„Wer nicht an Magie glaubt, wird sie niemals finden“, hat Dahl einmal gesagt, dessen Kinderbuch „The BFG“ (dt. „Sophiechen und der Riese“) 1982 erschien. „Je schlimmer die Welt wird, umso mehr müssen wir an Magie glauben, weil sie uns Hoffnung gibt“, hat wiederum Steven Spielberg betont. Dahls Geschichte scheint wie gemacht für den US-Regisseur, dessen Herz stets für Außenseiter schlägt. Denn nicht nur Sophie hat es schwer, sondern auch der BFG. Im Land der Riesen wird er verachtet, weil er lieber schleimige Kotzgurken isst als knusprige Schulkinder. Zwei einsame Seelen also, die sich finden und einander helfen – ein typisches Spielberg-Sujet und folglich kein Zufall, dass die 2015 verstorbene Drehbuchautorin Melissa Mathison engagiert wurde, die sich bereits für „E.T. – Der Außerirdische“ (1982) bewährt hatte. Die Erinnerung an diesen Erfolgsfilm wird heftig wachgerüttelt, wenn sich der Riese und das Mädchen zum Score von John Williams zart an den Fingerspitzen berühren. Doch das Zitat ist nicht ganz stimmig, denn in der Welt des durchaus abgründigen Roald Dahl gibt es – wie im echten Leben – das Dunkle, Böse und Absonderliche, existieren sogar Kannibalen oder Rieseninsekten, aber ganz gewiss keine niedlichen Aliens, die nach Hause telefonieren wollen.
Spielberg ist kein Regisseur, der das große Gefühl scheut, auch nicht auf die Gefahr hin kitschig zu werden. Eine Gratwanderung, die ihm bei „BFG“ durchaus gelingt – auch wenn der Film mitunter gerade da sentimental und gefällig wirkt, wo Dahls Vorlage eckig und grantig ist. Spielberg verlegt das dörfliche Waisenhaus in ein Harry-Potter-London, was bildlich mehr hergibt, dem Setting aber seine Alltäglichkeit nimmt. Dabei bietet die Geschichte genügend Anlässe für allerlei Bildzauber. Allein der Größenunterschied im Stil von „Gullivers Reisen“ hat seinen eigenen Reiz. Die Welt der Riesen ist für Sophie so unermesslich groß, dass sie sich in einer der schleimigen Gurken verstecken kann, und ihre „Nicholas Nickleby“-Ausgabe wird in den Händen des BFG zum Büchlein. Staunend sieht man zu, wie sich der Riese durch das nächtliche London bewegt, zum Baum wird oder mit Mauern verschmilzt, um bloß nicht entdeckt zu werden, wenn er nachts den Menschen bunt irrlichternde Träume in die Schlafzimmer bläst. Das alles funktioniert dank einer gelungen Kombination von realem Schauspiel und digitalem Motion-Capturing so hervorragend, dass man den ungeheuren technischen Aufwand hinter jedem einfallsreichen Bild meist vergisst.
Getragen wird der Film von den beiden Hauptdarstellern. Die mittlerweile zwölfjährige Ruby Barnhill spielt ihre Sophie mit großer Natürlichkeit und kann neben Mark Rylance als BFG bestehen, der nach „Bridge of Spies“ (2015) zum zweiten Mal für Spielberg vor der Kamera stand. Obwohl er hinter der digitalen Maske fast verschwindet, sind sein melancholischer Blick und (im englischen Original) seine sanfte Stimme unverkennbar, mit der er die Worte knetet und zu der ganz eigenen Sprache „Gobblefunk“ modelliert, die Dahl seinem Riesen angedichtet hat. Insgesamt also ist „BFG“ ein bildgewaltiger Spaß voller Poesie und Humor. Nur um das Ende kann es einem ein wenig leidtun: Im Buch lässt die Queen Sophie und den Riesen Domizile im königlichen Park von Windsor bauen, und der BFG entpuppt sich als Erzähler seiner Geschichte. Spielberg dagegen beschwört eine heile Familienwelt herauf – und bügelt damit den verspielt-anarchischen Humor von Roald Dahl glatt.