Scheinwerfer werden auf die Mitte des kleinen Theaters gerichtet. Betten bestimmen das Bühnenbild, werden verrückt und wieder zusammengeschoben. Im Hintergrund strahlen Neonröhren, wie die Sterne eines „American way of life“, der in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ am Verblassen ist. Emad, der in Teheran als Lehrer arbeitet, und seine Frau Rana spielen in einer kleinen Laien-Theatergruppe die Hauptrollen in Millers Bühnenstück. Auf die künstlich errichtete Wohnung des Theatersets folgen Szenen eines real im Einsturz begriffenen Apartmenthauses: Unten gräbt der Bagger versehentlich am Fundament. Oben durchziehen erste Risse die Fenster, während die Bewohner, unter ihnen Emad und Rana, sich panisch selbst evakuieren müssen.
Der Film des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi, der selbst Theaterwissenschaft studiert hat, beginnt mit Metaphern, aus denen das bevorstehende Unheil nur so hervorquillt. Keines von Farhadis bisherigen Beziehungsdramen, in denen jedes Wort sitzt und keines zu viel erscheint, bemühte bislang solche Bilder des Zerfalls. Was vielleicht auch daran liegt, dass Farhadi wachsend mehr Mühe hat, Missstände im Iran anzusprechen. Hier aber manifestiert sich das Unbill in einem riesigen Riss über dem Ehebett von Emad und Rana – einem gebildeten Paar aus der Mittelschicht, das den einsturzgefährdeten Block verlassen muss, in der sich rapide verändernden Stadt Teheran zunächst aber keine neue Wohnung findet. Als ein Schauspielkollege ihnen ein Apartment anbietet, drängen Emad und Rana ihre Skepsis gegenüber der vormaligen Bewohnerin so schnell beiseite wie sie deren Habseligkeiten nach draußen auf eine Terrasse befördern.
Bemerkungen der Nachbarn lassen darauf schließen, dass die Vormieterin, die nicht will, dass man ihre Sachen anrührt, mit ihrem Körper weit weniger exklusiv umging. Der Vorwurf der Prostitution steht im Raum. Als es abends unten am Hauseingang klingelt, öffnet Rana in Erwartung von Emads Rückkehr die Wohnungstür und springt unter die Dusche – nicht ahnend, dass ein Fremder in die Wohnung eindringt. Später wird sie nackt, blutend und bewusstlos von den Nachbarn gefunden.
Wie soll man etwas kitten, das sich tief in die Herzen gefressen hat und alles zu verschlingen droht? Farhadis exzellente Dramen wühlen sich still und unerbittlich in die Untiefen menschlicher Beziehungen. In „Nader und Simin – Eine Trennung“ (2011) war es der angebliche Stoß einer schwangeren Putzfrau, der den Graben zwischen einem Ehepaar erst so richtig aufriss. In „Le passé – Das Vergangene“ (2013) bemühte sich ein Liebespaar anfangs noch, dem baufälligen Haus wie ihrer mit Schuld beladenen Beziehung einen frischen Anstrich zu geben – bis ein zwischen Mutter und Tochter klaffender Graben alle zu verschlingen drohte.
In „The Salesman“ erweist sich Farhadi erneut als Meister unausweichlicher Kollisionen. Unaufgeregt zeichnet er deren Spuren nach und bezieht noch stärker als sonst Position: für Rana und gegen die aufgeheizte Atmosphäre des Misstrauens in einem Land, in dem die Schuld so oft zuerst bei der Frau als angeblicher Verführerin gesucht wird, während das Ego des Mannes das Recht auf Vergeltung und Vergebung für sich beansprucht.
Farhadis Figuren verbalisieren das nicht, doch davon handelt die Geschichte umso mehr, wenn eine fremde Frau nicht mehr neben Emad im Sammeltaxi sitzen möchte, weil der ihr angeblich zu nahe rückt; wenn die Zensurbehörde bei den Theaterproben vorbeikommt oder Emad seine Frustration ausgerechnet an dem Schüler auslässt, der ihn zuvor heimlich beim Schlafen im Klassenzimmer filmte – auch eine Art Missbrauch, auf die Emad mit einer Bloßstellung reagiert, die im Iran so verbreitet scheint. Die Vormieterin sei „keine anständige Frau“ gewesen, sagen die Nachbarn, und schieben ihr die Schuld in die Schuhe, eine gewisse Art von Männern und somit die Gewalt angezogen zu haben. Auch Ranas Weigerung, zur Polizei zu gehen, scheint in der Furcht begründet, durch das Öffnen der Tür an ihrem Unglück mitschuldig zu sein.
Geschickt belässt Farhadi den Tathergang in einer Dunkelheit, die sich in Ranas angeblichem Gedächtnisverlust und in ihrem Schweigen breitmacht. Was dagegen ans Licht kommt, ist ein in seiner Ehre gekränkter Ehemann, der sich auf eine von den Andeutungen der Nachbarn befeuerte Jagd nach dem Täter macht. Nicht, um ihn der Polizei zu übergeben, sondern um ihn vor dessen eigener Familie bloßzustellen, die (noch) so unbeschwert ist, wie es Emad gerne wieder wäre.
Mit Hilfe seiner fantastischen Schauspieler bereitet Farhadi damit einen packenden zweiten Akt der Entmachtung vor: Rana widerfährt ein doppelter Missbrauch, wenn ihr von ihrem eigenen Ehemann eine Rache aufoktroyiert wird, die sie zwischen Verletzung, Angst und Scham gar nicht will. Was man nicht ausspricht, das fühlt sich im Privaten vielleicht weniger real an. Das ist ein Fehler, den auch die Frau des Handlungsreisenden macht. Auf der Bühne, wo es Miller auch um das Scheitern an Geschlechterrollen ging, versucht Rana mühevoll ihr auf alt geschminktes Gesicht zu wahren. Als sie am Ende aber ein letztes Mal die Treppen ihres brüchigen Wohnhauses hinabsteigt, da hat sich der Riss des Mauerwerks längst in ihr Gesicht eingeschrieben.