Eine nach Jahren aus dem Gefängnis entlassene 40-jährige Frau will ein neues Leben beginnen und sich von allem fernhalten, was mit ihrer früheren Drogensucht zu tun hat. Doch auf Schritt und Tritt stößt sie auf Misstrauen und eckt mit den Behörden an. Das Drama einer scheiternden Wiedereingliederung und zugleich eine eindrucksvolle Charakterstudie, in der die trügerische Stille, die in der Protagonistin tobt, weniger durch Dialoge als durch Blicke und Gesten zum Ausdruck gebracht wird. In der Handlung zwar vorhersehbar und überdeutlich in den metaphorischen Anspielungen, überzeugen das intensive körperliche Spiel sowie die bezwingende atmosphärische Kamera.
- Ab 14.
Wanja
Drama | Deutschland 2015 | 87 Minuten
Regie: Carolina Hellsgård
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Flickfilm/Storytellers
- Regie
- Carolina Hellsgård
- Buch
- Carolina Hellsgård
- Kamera
- Kathrin Krottenthaler
- Musik
- Steffen W. Scholz
- Schnitt
- Carolina Hellsgård · Antonella Sarubbi
- Darsteller
- Anne Ratte-Polle (Wanja) · Nele Trebs (Emma) · Robert Viktor Minich (Rudi) · Marko Dyrlich (Ulf) · Michael Baderschneider (Otto)
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- 09.06.2016
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Aus dem Gefängnis entlassene Frau (Anne Ratte-Polle) sucht einen Neuanfang
Diskussion
Wanja ist 40. Die letzten Jahre hat sie wegen eines Banküberfalls im Gefängnis verbracht. Nun darf sie endlich raus, zum „Freigang“, wie es im gefälligen Beamtendeutsch heißt. Es ist eine begrenzte, abgezirkelte Freiheit, denn Wanja bleibt unter Kontrolle: Sie wird verpflichtet, sich regelmäßig bei ihren beiden Bewährungshelfern zu melden. Und sie muss einer festen Arbeit nachgehen, zunächst einem Praktikum, das dann in eine Festanstellung münden könnte. Wanja möchte das auch. Es soll anders werden, dieses verfluchte, ziemlich verpfuschte Leben. Vor allem will sie nie wieder jenen harten Drogen verfallen, mit denen so vieles aus dem Ruder lief.
Wanja ist eine Filmfigur fast ohne Worte. Es sind vor allem Blicke, Gesten, die Haltungen des Körpers, des Kopfes oder der Schultern, die ihre Seelenlage transparent machen. Da gibt es mehr Skepsis als Hoffnung, sowohl der Außenwelt als auch sich selbst gegenüber. Das Wissen um die eigene Schwäche und Verletzlichkeit, das innere Aufbäumen gegen die untilgbaren Ängste, die eigene Unberechenbarkeit. Wanja nimmt zwar schon lange keine Drogen mehr, aber wer weiß, ob es nicht doch wieder dieses Verlangen geben wird, irgendwann, jetzt oder später, wenn es die Umstände mit sich bringen?
Es sind kleine, kleinste Regungen, mit denen Anne Ratte-Polle die mühsam gebändigte Unruhe, die gezügelte Wut, das höchst fragile Gleichgewicht ihrer Figur skizziert. Die trügerische Stille, die in Wanja tobt. Nur manchmal, sehr selten, rückt der Film die aus Wanjas Seele durchaus nicht vertriebenen Dämonen als surrealistische Schocks direkt ins Bild.
Doch so stark die Hauptdarstellerin auch sein mag: Insgesamt bleibt der Film von Carolina Hellsgård den Fabelkonventionen dieser Art Geschichten doch sehr verhaftet. Unübersehbar ist die Nähe zur Mutter aller „Resozialisierungsstoffe“, zu Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. „Wanja“ spielt zwar nicht in der Metropole, sondern in der niedersächsischen Provinz. Aber die Muster sind ähnlich: Das geballte Misstrauen der Gesellschaft gegenüber der Entlassenen. Die Bürokratie der Ämter mit ihren teils abstrusen Regelungen und Forderungen, einschließlich der Phrasen, die ganz direkt den Aktenbergen zu entspringen scheinen: „Es gibt doch im Leben keine Abkürzungen“, sagt eine Beamtin und zeigt sich nicht bereit, festgefahrene Gleise bei der Wiedereingliederung einmal zu verlassen. Natürlich gerät Wanja, wie einst Franz Biberkopf, auch in die Nähe von Menschen, die ihr kaum guttun. Oder doch? Das Mädchen Emma (Nele Trebs), dem sich Wanja zunehmend mütterlich verbunden fühlt (ihre eigene Tochter lebt in einer fremden Familie) wird zur Freundin und Verführerin. Die Schlussszene, in der beide Frauen einen intimen Moment miteinander teilen, atmet ebenso viel Zärtlichkeit wie Traurigkeit. Das sind Momente großen Kinos.
Insgesamt hätte man dem Film aber ein weniger vorhersehbares Drehbuch gewünscht. Auch die Metapher eingesperrter und schließlich freigelassener Vögel, die anfangs in die Handlung eingepflegt wird, hat mit Originalität recht wenig zu tun. Dass Überraschungen in der Fabelführung weitgehend ausbleiben, wird durch das intensive, körperliche Spiel Anne Ratte-Polles und die atmosphärische Kamera von Kathrin Krottenthaler zwar abgemildert, macht „Wanja“ aber kleiner und durchschnittlicher, als es der Film hätte sein müssen.
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