Warum erfreuen sich eigentlich Filme über die Auswahlverfahren an Schauspielschulen einer immer wiederkehrenden Konjunktur? Die lange Liste reicht von „Fame“
(fd 39 642) über „Kleine Haie“
(fd 29 750) bis zu „Die Spielwütigen“
(fd 36 511). Nicht zu vergessen die unverwüstlichen Casting-Formate im Privatfernsehen. Auch diese leben vom Fiebern mit den Kandidaten, die keine selbstentblößende Peinlichkeit scheuen, um in den Kreis der Auserwählten aufzusteigen.
Der Dokumentarfilm „Die Prüfung“ von Till Harms erfindet dieses Genre nicht neu, schafft es aber immerhin, hinter die Kulissen der mit Vorliebe wenig Wert auf Transparenz legenden Kommissionen zu schauen. Ausgehend von 687 Bewerbern, die um zehn Plätze kämpfen, richtet der Film neun Tage lang den Blick vor allem auf die neun Prüfer an der Staatlichen Schauspielschule Hannover, aus der so erfolgreiche Mimen wie Katharina Schüttler oder Susanne Wolff hervorgegangen sind.
Das sich über mehrere Runden erstreckende Prüfungsprocedere erweist sich für die Entscheider als kräftezehrende Belastungsprobe, die den Stresspegel der Geprüften sogar zu übersteigen scheint. Wenn es um ihre Favoriten geht, scheuen die Entscheider keine rhetorische Pirouette, verändern die Bewertungskriterien nach Belieben, kritisieren manchmal auch ungerecht die Gegenseite und schrecken vor keiner noch so subjektiven Parteinahme zurück. Im Verlauf des Marathons kristallisieren sich ihre Charaktere heraus. Jeder reagiert anders auf die Unzulänglichkeiten der Anwärter. Der eine stellt perfide Fragen, der andere erteilt Anweisungen, damit der Auftritt auf der Probebühne nachhaltigere Spuren hinterlässt und vielleicht ein verborgenes Talent aufscheinen lässt.
An Mitgefühl fehlt es nicht, weswegen auch das Verkünden des „Urteils“ zu den berührendsten Momenten des behutsam beobachtenden Films gehört. Ausgerechnet in den Momenten der bleiernen Müdigkeit demonstrieren abgelehnte Aspiranten das Bedürfnis, über ihre Fehler zu diskutieren. Die Reaktionen der Akteure fangen mehrere Kameras ein, das Karussell der Gefühle lässt sich so beinahe hautnah miterleben und die konträren Meinungen auch mit der Körpersprache abgleichen.
Ein gelungenes Porträt einer gnadenlosen Welt der Selektion, des Triumphs und der seelischen Verletzung, das in klaren Bildern nicht alle Rätsel des Schauspielberufs löst, aber immerhin zeigt, welche Gruppenprozesse darüber entscheiden, ob man in die erste Reihe vordringt.