Zwei zerstrittene Brüder, der eine Pop-Star, der andere Indie-Musiker, werden von ihrem verstorbenen Vater auf eine Reise in die türkische Provinz geschickt, wo sie wie in Kindertagen gemeinsam bei einer Hochzeit musizieren sollen. Der souverän zwischen verhaltener Ironie und Melodram balancierende Film ist dramaturgisch geschickt entwickelt und leitet Konflikte wie Lösungen aus den nicht unsympathischen Charakteren ab. Ein Mainstream-Drama mit Tiefgang, das seine Auseinandersetzungen in ruhigere Fahrwasser leitet und eher auf Understatement als auf Pathos setzt. (O.m.d.U.)
- Ab 12.
Kardeşim Benim
Buddy-Movie | Türkei 2016 | 120 Minuten
Regie: Mert Baykal
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Filmdaten
- Originaltitel
- KARDEŞIM BENIM
- Produktionsland
- Türkei
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- FBR Prod./TAFF Pic.
- Regie
- Mert Baykal
- Buch
- Zafer Külünk
- Kamera
- Veli Kuzlu
- Musik
- Cem Öget
- Schnitt
- Korhan Koryürek
- Darsteller
- Burak Özçivit (Hakan) · Murat Boz (Ozan) · Asli Enver (Zeynep) · Burak Satibol · Ferdi Sancar (Tato)
- Länge
- 120 Minuten
- Kinostart
- 21.01.2016
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Genre
- Buddy-Movie | Komödie | Road Movie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Türkisches Buddy-Movie mit Melo-Anstrich. Zwei verfeindete Brüder, einer Popstar, der andere Indie-Musiker, werden testamentarisch auf eine gemeinsame Reise geschickt.
Diskussion
Zwei zerstrittene Brüder, die beide populäre Pop- und Rockstars sind, begeben sich auf einen Trip durch die Untiefen ihrer Familiengeschichte und finden am Ende zu neuer Harmonie. „Kardeşim Benim“ setzt dabei nicht nur auf zwei prominente Teenie-Idole, sondern gibt dem türkischen Kinopublikum in politisch schwierigen Zeiten den Glauben an sich selbst zurück: Ein eskapistischer Film, der nach Ehrlichkeit und Zuversicht schmeckt.
Bereits die Eröffnungssequenz wirft einen Schatten auf das Verhältnis der beiden Protagonisten. Auf der Beerdigung ihres Vaters treffen sich Ozan, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere als erfolgreicher Schlagersänger steht, und der in sich gekehrte Indie-Musiker Hakan, nachdem sie jahrelang jeden Kontakt gemieden hatten. Sie würden sich auch weiterhin aus dem Weg zu gehen, wenn ihr Vater nicht anderes entschieden hätte. Um an ein vermeintlich großes Erbe zu gelangen, müssen sich beide gemeinsam mit dem alten Familienkombi auf dem Weg machen, ganz so wie damals, als sie ihren Vater bei seinen Engagements als Hochzeitsmusiker begleiteten. Erneut sollen sie in der südtürkischen Provinz bei wildfremden Leuten Musik machen. Auf dem Weg, so das Kalkül des Vaters, werden die entfremdeten Seelen der beiden Brüder schon zusammen finden.
Auf diese Weise schickt der Vater die verfeindeten Musiker posthum auf eine Schnitzeljagd. Das von Audiokassetten und väterlichen Briefen diktierte Road Movie führt immer tiefer aufs Land, zu urigen, mitunter auch pittoresken Bewohnern, aber auch in die Kindheit. Begleitet werden sie dabei von der jungen Boulevard-Journalistin Zeynep, die die Story ihres Lebens wittert, sich dann aber Hals über Kopf in den zurückhaltenden Hakan verliebt.
Der Regie-Debütant Mert Baykal bewältigt diesen Stoff souverän und mit gutem Gespür für verhaltene Ironie und Melodram. Die Zwistigkeiten der Brüder werden genauso verhaltenstypisch hergeleitet wie die sich mit Hindernissen anbahnende Liebesgeschichte. Überdies schrieb das wahre Leben am Plot mit, das in diesem Fall mit dem türkischen Superstar und Frauenschwarm Murat Boz alias Ozan und dem Model Burat Özҫivit, einem Seriendarsteller, nachgestellt wird.
Das Stalking der Regenbogenpresse, der Zorn der in ihrer Ehre verletzten Dorfbewohner und die Streitereien zwischen dem Pop-Repräsentanten und seinem Underground-Gegenspieler verleihen der Geschichte etwas Authentisches und ihren gebrochenen Helden den ein oder anderen Empathie-Punkt.
Doch auch diese Komödie wäre kein türkischer Film, wenn der Bruder-Bruder-Liebhaberin-Plot in Harmonie und schöner Landschaft enden würde. Im Finale der akribisch vorausgeplanten Reise gerät das ungleiche Trio nämlich nicht auf eine Dorfhochzeit, sondern in das Haus einer alleinerziehenden Mutter, die mit ihrer an Knochenmarkkrebs erkrankten Tochter Ayşe zusammenlebt und auf einen Stammzellenspender aus engerem Familienkreis wartet. Ayşes Vater aber ist niemand anderes als Ozans und Hakans Erzeuger. Auch hier spielt „Kardeşim Benim“ (zu deutsch: Mein Bruder) mit vorhersehbaren Sujets und kippt mit Vorsatz ins Vorhersehbare. Doch zwischen Taschentuch-Film und Buddy Movie vertieft die Inszenierung den Blick in die zerfurchten Seelen der Protagonisten. Popstars sind so imperfekt wie normale Menschen; auch in ihrer Psyche und Physis spielen sich unendliche Dramen ab, so die nachdenkliche Botschaft eines Unterhaltungsfilms, der sein Star-Ensemble ganz zeitgeistig mit Understatement statt Pathos in Szene setzt.
Die Retro- und Kindheitssujets geleiten dabei so sehr wie die Nebenkonflikte zwischen Populär- und Indie-Pop, Vater-Sohn-Verhältnis und Sensationsjournalismus in ruhigere Fahrwasser, als sie die polarisierte politische Kultur in der Türkei aktuell bieten kann. „Kardeşim Benim“ ist damit ein solider Vertreter der in den letzten Jahren dominierenden Mainstream-Filme mit Tiefgang, doch er meidet, anders als vergleichbare Projekte aus den letzten Jahren, jede Konfrontation mit der politischen Elite, aber auch jede Anbiederung. Der Rückzug ins Private hat begonnen, auch wenn er nicht vollkommen unpolitisch ist.
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