Episodenfilm über das von der Gentrifizierung heimgesuchte Berlin: Um einen jungen Immobilienhändler und seinen Freund aus Kindertagen, die sich im Stadtteil Neukölln an unterschiedlichen Perspektiven auf Gegenwart und Vergangenheit reiben, ranken sich mehrere Personen, die miteinander in Kontakt kommen, bald aber enttäuscht wieder auseinander gehen. Die atmosphärische semidokumentarische Milieustudie entwickelt visuell viel Gespür für die lokale Multikulti-Folklore, erliegt aber einer depressiven Kapitalismusklage, die irritiert und nach Gegenstrategien fragen lässt.
- Ab 16.
Neukölln Wind
Drama | Deutschland 2015 | 90 Minuten
Regie: Arsenny Rapoport
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Regie
- Arsenny Rapoport
- Buch
- Arsenny Rapoport · Bjoern Radler
- Kamera
- Rocco Lacitignola · Na'ama Landau · Monica Dovarch
- Musik
- Yevgeni Sluchak
- Schnitt
- Dalia Castel · David Abramov
- Darsteller
- Max Kidd (Kale) · Lutz Blochberger (Der Kunde) · Anne Düe (Anne, die Fotografin) · Bjoern Radler (Frederik, der Geist) · Dominik Djialeu (Der Makler)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 07.01.2016
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Episodenfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Episodenfilm über das von der Gentrifizierung heimgesuchte Berlin
Diskussion
Junkies, Obdachlose, zwischen Überangepasstheit und Desorientierung schwankende Migrantenkinder, identitätsschwache Einheimische und von der Elendsromantik faszinierte Künstler bevölkern diesen mit melancholischer Klaviermusik unterlegten Berlin-Film, der die vor allem bei Hipstern geschätzte Stadt zur Abwechslung mal als von der Gentrifizierung heimgesuchte Tristesse-Kapitale porträtiert. Formal ein Episodenfilm à la „Short Cuts“ (fd 30 588), schweift die Kamera mit viel Sinn für die lokale Multikulti-Folklore durch Neukölln, fixiert Menschenschlangen auf den Rolltreppen der U-Bahn und schaut dem Stadtteil aus der Vogelperspektive beim Einschlafen zu. Bagger geraten bei ihrer Abrissarbeit ins Bild, oder Gregor Gysi während einer öffentlichen Rede. Zwischen all den impressionistischen Montagen gibt es noch Platz für eine Menge Figuren, die zufällig in Kontakt kommen und meistens enttäuscht über die nur kurz gelingende Nähe wieder auseinander gehen.
Eine Kellnerin verliert ihren Job. Sie flüchtet sich nach einer Party in einen Seitensprung mit einer Fotografin, um die Kritik ihres nach sozialem Aufstieg gierenden Freundes zu vergessen. Die Affäre misslingt trotz gefühlvoll inszeniertem Sex, weil das Gegenüber plötzlich von Weinkrämpfen befallen wird und auf Abstand geht. Hoffnungslose Begegnungen wie diese häufen sich etwas unmotiviert. Regisseur Arsenny Rapoport meint sogar Wim Wenders zitieren zu müssen. Ein betrunkener Engel fällt vom Himmel, erweist sich im Unterschied zum Pendant aus „Der Himmel über Berlin“ (fd 26 452) aber als weniger poetisch veranlagt.
Mittendrin in dem ruhigen Erzählfluss versucht ein junger Immobilienverkäufer seine verfallenden Objekte an Investoren zu verkaufen, während ihm sein herumstreunender Kindheitsfreund mit Tiraden über das Verschwinden ihrer Vergangenheit in den Ohren liegt. Der Wohnblock, in dem sie beide aufgewachsenen sind, soll in teure Apartments verwandelt werden. Der eine profitiert vom Wandel der Stadt, der andere trauert einer vermeintlich besseren Ära in den 1980er-Jahren nach und findet keinen Anschluss ans Hier und Jetzt. Um das ungleiche Duo herum kreist das restliche Personal wie ein Schwarm aus der Umlaufbahn geratener Planeten auf der Suche nach Erlösung von sich selbst.
In den besten Momenten schafft der Film so etwas wie eine atmosphärische, dokumentarisch angehauchte Milieubeobachtung. Leider versinkt er aber insgesamt derart in seiner depressiven Stimmung, dass jeder Dialog nur noch als Echo eines kapitalistischen Sittenverfalls samt unbarmherzigen Menschenverschleiß zu deuten ist. Die tragischen, aber passiven Aussteiger bleiben auf der Strecke, während die amoralischen Gewinnertypen die Stadt unter sich aufteilen. Wo bleibt da der Aufstand?
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