Auf der Suche nach den schweren Zerwürfnissen in seiner Familie sucht der Filmemacher seinen 90-jährigen Großvater in Zürich auf und bedrängt ihn mit großer Beharrlichkeit. So erfährt er, dass der alte Mann das Vermögen seiner ersten und seiner zweiten Frau verspekuliert hat, was aber die Kälte im familiären Umgang nicht erklären kann. Erst als sich der Dokumentarist mit seiner Mutter beschäftigt, kommt er einer tiefen Ambivalenz von Emanzipation, Erfolg, Zweifel und Todessehnsucht auf die Spur. Eine durchaus spannende Familie-Rekonstruktion, die aber bisweilen naiv, mitunter auch grenzwertig die Versatzstücke einer Tragödie auslotet, ohne alle Fragen klären zu können.
- Ab 16.
Familie haben
Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 131 Minuten
Regie: Jonas Rothlaender
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- DFFB
- Regie
- Jonas Rothlaender
- Buch
- Jonas Rothlaender
- Kamera
- Jonas Rothlaender
- Schnitt
- Dietmar Kraus
- Länge
- 131 Minuten
- Kinostart
- 07.01.2016
- Fsk
- ab 0
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Jonas Rothlaender forscht den Zerwürfnissen in seiner Familie nach
Diskussion
Da ist man also nicht eine Familie, sondern „hat“ Familie, und das ist für den ersten langen Film von Jonas Rothlaender durchaus bezeichnend. Seine Familie ist groß: Rothlaender (Jahrgang 1982) hat sechs Geschwister. Sein Vater lebt in Lübeck, sein Stiefvater in Bielefeld, seine Mutter in dessen Nähe. Weitere Verwandtschaft väterlicherseits kommt in „Familie haben“ nicht vor. Großmutter und Stiefgroßmutter mütterlicherseits sind in den 2000er-Jahren verstorben. Mutters Vater, Karl Günther Gebler, hingegen lebt noch. Zumindest zu Beginn des Films, in einem Alten- und Armenheim in Zürich.
Vor vier Jahren, noch während seines Studiums an der dffb, brach Rothlaender auf, um seine Familien-Recherche zu beginnen. An deren Ursprung stehen das Unbehagen Rothlaenders über die Unnahbarkeit seiner Mutter, sowie eine bittere Schuldzuweisung in einem Brief seiner Oma. Ein Besuch beim Großvater, so hofft der Regisseur, könnte Licht in die Sache bringen. Opa ließ sich vor 35 Jahre von seiner ersten Frau scheiden und ist mit seiner zweiten in die Schweiz gezogen; der Filmemacher hat ihn seit 15 Jahren nicht gesehen. Die Wiederbegegnung ist überwältigend, auch für den Zuschauer.
Der Großvater, ein Greis mit Gicht und links einer schwarzen Augenbinde, ist eine eindrückliche Erscheinung. Er stand einige Monate an der Front, saß danach aber sehr viel länger in russischer Gefangenschaft. Man muss Schicksalsschläge hinnehmen, sagt er, und meint damit auch die Geburt einer Tochter, wo er doch sehnlich einen Sohn gehabt hätte.
Gebler ist ein Solitär. Auch im Heim hat er nur zu einer einzigen Pensionärin Kontakt. Ihre Welten, sagt Opa, seien zu verschieden. Sie sei gläubig, er in der Finanzwelt zu Hause. Geradezu wahnhaft erscheint Opas ewiges Reden übers Geld. In die Abertausende, gar in die Millionen gehen die Geschäfte, die er tätigen will; die Schreiben, flüchtig vor die Kamera gehalten, lassen auf Bettelbrief-Betrüger tippen und Arges ahnen.
Jonas indes rückt seinem Opa mit bewundernswerter Beharrlichkeit auf die Pelle und erfährt einiges. Etwa von einem schief gelaufenen Geschäft, bei dem Opa nicht nur das Vermögen seiner zweiten Frau und sein eigenes in den Sand setzte, sondern auch das seiner ersten Frau. Zumindest für Omas Bitterkeit findet sich damit ein triftiger Grund, umso mehr als Gebler sich weder entschuldigte noch je etwas zurückerstattete.
Doch das Geld kann doch nicht der einzige Grund für das Zerwürfnis zwischen Opa und Oma sein, zwischen der Mutter und ihren Eltern sowie für die Kälte der Mutter gegenüber ihrem Sohn. Also hat Rothlaender weiterhin in Omas Nachlass gekramt und weitere Besuche gemacht. Bei seinem Vater, seinem Stiefvater, dem ältesten seiner Brüder, der sich wie der Regisseur schwer tut in Beziehungen und vor seiner Hochzeit derart kalte Füße bekommt, dass er sie absagt.
Vor allem aber hat sich Rothlaender mit seiner Mutter beschäftigt. In den ersten Bildern eine schemenhafte Wanderin am Strand, gewinnt sie zunehmend an Kontur und stellt sich als kluge und wackere Frau heraus, die ihre sieben Kinder teilweise alleine groß zog, als Ärztin arbeitete und nebenbei locker einige Pferde hielt. Mit ihrer Tüchtigkeit schaffte sie es bis zum bewundernden Porträt in der Lokalzeitung. Doch der Regisseur fand als Jugendlicher frühmorgens in der Küche Zettel, die von den Zweifeln und der Todessehnsucht seiner Mutter zeugten.
Über zwei Stunden lang bröselt Rothlaender die Geschichte seiner Familie auf und breitet dabei die Versatzstücke einer fatalen Tragödie aus, wie sie Shakespeare verhängnisvoller nicht hätte erfinden können. Auch wenn „Familie haben“ bei der namentlichen Erwähnung eventuell noch lebender Personen mit in der Vergangenheit zweifelhaftem Verhalten an Grenzen kratzt und die Eigenreflexionen des Regisseurs bisweilen recht naiv ausfallen, wünscht man sich, dass er seine Recherche noch eine Runde weiter treiben möge. Stoff und Figuren dürften nach wie vor in Fülle vorhanden sein. Und packender als manch guter Spielfilm ist die Rothlaendersche Familiensaga alleweil.
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