Animation | Japan 2013 | 99 Minuten

Regie: Yasuhiro Yoshiura

Die rebellische Prinzessin einer unterirdischen Zivilisation fällt in einen Abgrund und landet an der Erdoberfläche, wo in ihren Augen alles auf dem Kopf zu stehen scheint. Ein Junge aus der Oberwelt hilft ihr, nicht in den Himmel zu stürzen und das Geheimnis ihrer Welt zu ergründen, in der sich die Schwerkraft umgekehrt hat. Ein intelligenter, visuell atemberaubender Animationsfilm, der seine originelle Abenteuergeschichte nutzt, um ebenso spannend wie kritisch über Wissenschaftsgläubigkeit und eine staatlich sanktionierte Paranoia gegenüber vermeintlich Andersartigem zu reflektieren. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SAKASAMA NO PATEMA
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Purple Cow Studio
Regie
Yasuhiro Yoshiura
Buch
Yasuhiro Yoshiura
Musik
Michiru Ôshima
Länge
99 Minuten
Kinostart
08.10.2015
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Animation
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Kazé (16:9, 1.78:1, DD5.1 jap./dt.)
Verleih Blu-ray
Kazé (16:9, 1.78:1, dts-HDMA jap./dt.)
DVD kaufen

Intelligenter, visuell atemberaubender Animationsfilm

Diskussion
Es hätte das Ende Patemas sein müssen: Verfolgt von etwas Unheimlichen, das sie hier unten Fledermauswesen nennen, stürzt die junge Frau in den gähnenden Schlund; getrieben von den rotglühenden Laseraugen, mit denen die vermummten Wesen von der Decke starren. Freunde und Verwandtschaft hatten sie immer wieder ermahnt, von der Peripherie fernzubleiben und die Gesetze der Sippe zu befolgen. Doch schon als kleines Mädchen waren ihr vom väterlichen Freund Lagos rebellische Flausen ins Ohr gesetzt worden, der von einer zweiten Welt erzählte, kurz bevor er selbst für immer in den Tiefen verschwand; von einer Sphäre, in der man Himmel, Sterne und Pflanzen im Überfluss sehen kann. Lagosʼ letztes Geschenk war ein vergilbtes Polaroid von dieser „wahren Erde“. Als Patema die Augen öffnet, ist keine Dunkelheit, sondern bläuliche Weite unter ihr, und sie krallt sich mühsam an das obere Ende eines Maschenzauns, um nicht in die Wolken zu fallen. Am Fundament des Zauns steht ein verdutzter Junge, der nicht glauben kann, was er da sieht; steht er doch anscheinend fest auf dem mit Gras bewachsenen Boden, während die Unbekannte am Ende des Zaunes gen Himmel zu fliegen droht. Gerade noch rechtzeitig greift er nach ihrer Hand und ist glücklicherweise auch ein wenig schwerer als sie; zusammen addiert sich ihr Gewicht zu einem federleichten Ganzen. Derart verbunden, können sich die beiden in einen nahe gelegenen Schuppen retten. Japanische Animationsfilme führen in ihren oft komplexen Prologen gerne in unbekannte, verstörende Welten. Was dem Zuschauer in „Patema Inverted“ jedoch an kognitiven Reizen zugemutet wird, sucht seinesgleichen. Der Film hebt buchstäblich eine Urgewissheit aus den Angeln, dass man nämlich auf die Schwerkraft vertrauen und nie nach oben „fallen“ kann. In einer nicht allzu fernen Zukunft aber haben die Menschen mit der Schwerkraft experimentiert, um eine unerschöpfliche Energie zu erschließen. Doch das Experiment schlug fehl. In dem „kontaminierten“ Areal kehrte sich die Schwerkraft um; Mensch und Maschinen stürzten Richtung All. Die wenigen Überlebenden fanden eine Zukunft unter der Erde. An ihre Stelle rückte ein anderes, „unbehelligtes“ Volk, das sich fortan als auserwähltes betrachtete und mit den sündigen „Höllenfliegern“ als Menetekel eine Religion der Repression und Paranoia begründete. Mit dem Aufeinandertreffen der lange verborgenen Welten ist nun aber nicht nur für die Protagonisten oben und unten aufgehoben. Regisseur Yasuhiro Yoshiura beschert auch dem Zuschauer atemberaubende, bisweilen sogar schwindelerregende Bilder, deren Virtuosität noch im traditionellen zweidimensionalen Zeichenstil gestaltet ist. Allein schon die Geschichte von Patema und Age, die sich buchstäblich aneinanderklammern, um körperlich und geistig die Balance zu halten, wäre spannend genug. Doch die Rebellin Patema gilt auf der Erde als „verbotenes“ Wesen. Sie wird gejagt und vom Obermachthaber entführt. Age entdeckt derweil ebenfalls seine rebellische Ader und findet heraus, dass sein Vater einst nicht durch einen Unfall ums Leben kam, als er mit dem Volk unter der Erde Kontakt aufnahm. Beide Jugendliche müssen sich fortan gegenseitig nicht nur vor den Aggressoren und Heilsversprechern retten, sondern sie wollen auch die Geheimnisse ihrer Familien lüften, die enger miteinander verbunden sind, als sie es ahnen. „Patema Inverted“ ist ein fordernder, fesselnder Science-Fiction-Film, in dem es gerade für jüngere Zuschauer viele Subtexte zu entschlüsseln gibt. Der Film konstatiert eine grundlegende Relativität der Dinge, wenn zwei Kulturen aufeinanderprallen, die zuvor nur voller Misstrauen und Argwohn voneinander gesprochen haben. Implizit und subtil warnt „Patema Inverted“ vor Ausgrenzung und Ungleichbehandlung und führt plastisch vor Augen, dass die Rede von Über- und Untermenschen nur in die Katastrophe führen kann. Vor allem ist das Anime aber auch ein wunderbares Beispiel dafür, dass ein Trickfilm für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen zum atemberaubenden Abenteuer werden kann.
Kommentar verfassen

Kommentieren