Anstatt über ästhetische Strategien einer Auseinandersetzung mit der unübersichtlichen Gegenwart nachzudenken oder ein ernst zu nehmendes Reflexionsniveau zu entwickeln, wählt der deutsche Kinofilm seit längerem den Kostümfilm, um längst geschlagene Schlachten nachzustellen. Ob RAF, Oktoberfest-Attentat, West-Berliner Subkultur, Mauerfall, Rostock-Lichtenhagen oder Stasi-, Nazi-Nachwehen – der Kinofilm gerät schnell zu einer Art von Action-Ausstattungs-Schulfernsehen für Nachgeborene.
Jetzt also Fritz Bauer, die dritte. Zunächst gab es den höchst sehenswerten Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ (
(fd 40 210), 2010) von Ilona Ziok, der umfassend und materialreich über Biografie und politisches Selbstverständnis des Generalstaatsanwaltes informierte. 2014 folgte dann Giulio Ricciarellis Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“
(fd 42 690), in dem Bauer, gespielt von Gert Voss, als eine Art graue Eminenz den politischen Lernprozess eines jungen Staatsanwaltes begleitete, der gegen alle Widerstände in die Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses mündete. Ricciarellis Film verkleidete sich als Politthriller in der Manier der (wenigen) „Zeitfilme“ der 1950er-Jahre wie „Rosen für den Staatsanwalt“ (fd 8443) oder „Der Mann, der sich verkaufte“ (fd 7911). In „Der Staat gegen Fritz Bauer“ rückt Regisseur und Co-Drehbuchautor Lars Kraume nun Bauer selbst in den Mittelpunkt der Handlung eines Kammerspiels, konzentriert sich aber auch auf die Jahre um das Aufspüren und den Prozess gegen Adolf Eichmann. Auch Kraume bedient sich bei den Filmen der 1950er-Jahre. Hier wird noch geraucht wie ein Schlot, in Hinterzimmern gekungelt, telefoniert und mit zwielichtigen Informanten gedealt. Um Bauers Ethos besser verständlich zu machen, für den jenseits seines Arbeitszimmers das feindliche Ausland begann, wird eine bekannte Fernsehsendung mit Fritz Bauer aus dem Jahr 1964 kurzerhand in die Filmhandlung zurückverlegt. Dazu kommt eine motivierende Erinnerung an eine unvergessene Niederlage im Angesicht der Todesdrohung des NS-Regimes. Der Jude und Sozialdemokrat Fritz Bauer soll sich 1933, so kolportiert Kraumes Film, seine Freilassung aus der Haft mit einem Treuebekenntnis zu Hitler erkauft haben. Eine Behauptung, die – obwohl nicht objektivierbar – schon 2014 anlässlich der Frankfurter Ausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt“ für Kontroversen sorgte.
Die Situation in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ stellt sich wie folgt dar: Weil er auf die Jugend setzt und hofft, dass man in einem Land, das komplett in Trümmern liegt, vielleicht eine bessere Zukunft bauen könne, kehrt Bauer aus dem schwedischen Exil zurück und beginnt, als Generalstaatsanwalt in Frankfurt Ermittlungen über NS-Verbrechen anzustellen. „Worauf kann man als Deutscher nach 1945 noch stolz sein?“, fragt er in der Fernsehsendung. Und antwortet: „Auf das, was man tut!“ In der eigenen Behörde isoliert, muss Bauer mit den Ergebnissen seiner Ermittlungen sehr vorsichtig umgehen, damit untergetauchte NS-Verbrecher nicht gewarnt werden, da Justiz und Geheimdienste voller Nazis stecken, die seine beharrliche Arbeit mit Argusaugen verfolgen. In dem jungen Staatsanwalt Karl Angermann findet Bauer einen loyalen Helfer, den er später um der Sache willen opfern muss. Hier kommt die vermutete Homosexualität Bauers ins Spiel, denn Angermanns „Coming out“ ist die Schwäche, auf die Bauers Gegner nur gewartet haben, um den Störenfried loszuwerden. Der Staat, der hier gegen Fritz Bauer antritt, ist eine Gemengelage aus untergetauchten Tätern, alten und jungen Kameraden und einer Bevölkerung, die ihre Mittäterschaft durch ein Wirtschaftswunder verdrängt. Die Isolation Bauers geht so weit, dass er, als er durch einen Hinweis Eichmanns Aufenthaltsort in Argentinien erfährt, sich – da selbst machtlos – an den israelischen Mossad wenden muss, um Eichmann vor Gericht zu bringen. Weder der deutschen Machtelite noch den Amerikanern konnte daran gelegen sein, dass Eichmann in der Bundesrepublik der Prozess gemacht würde. Warum das so war, liegt auf der Hand, denn Eichmann war bei der Flucht in der argentinischen Niederlassung von Porsche untergetaucht.
Wer allerdings etwas Genaueres zur Psychologie dieses Staates erfahren will, gegen den Bauer ermittelte, muss auf Zioks Dokumentation zurückgreifen, wo es einmal heißt, dass der „Raubmord“ an den Juden nicht aufgeklärt werden sollte. Ein interessanter Aspekt in Kraumes Film ist die Entscheidung, auch für Eichmanns verborgenes Leben in Argentinien Bilder zu finden, was zu ein paar irrlichternden Parallelsetzungen zwischen Bauer und Eichmann führt. Beide Figuren sind gewissermaßen Außenseiter mit geborgter Identität, und beide Figuren sind dort angreifbar, wo die Sexualität ins Spiel kommt. Ob das beabsichtigt ist? Interessant ist auch, dass sich die Maske nur bei Bauer und Eichmann bis zur Perfektion ins Zeug legt, um die Schauspieler mit ihren historischen Vorbildern möglichst verschmelzen zu lassen, wo im Falle von Ronald Zehrfeld als Staatsanwalt Angermann schon eine Rasur, ein Besuch beim Friseur und ein etwas zu enger Anzug ausgereicht hat.
Dass Eichmann in Israel der Prozess gemacht wird, zeigt die historischen Handlungsgrenzen Bauers auf. Es ist gleichsam eine Niederlage mit positiver Wirkung, die allerdings erst von der antiautoritären Revolte eingelöst wird. Dass Bauer 1968 unter etwas dubiosen Umständen starb, wäre insofern eine ironische Ungleichzeitigkeit. Kraume allerdings lässt dieses Thema komplett außen vor und endet seinen etwas unentschlossen zwischen peniblem Reenactment, vertrauten Genreregeln und vorsichtiger Abstraktion schwankenden Film mit einer direkten Adressierung in den Zuschauerraum.
Einen Helden wie Fritz Bauer zur rechten Zeit gehabt zu haben, ist auch eine Verpflichtung, sein Andenken durch Praxis zu pflegen. Oder wie es Thomas Harlan, ein Freund und Zuarbeiter Bauers in jenen Jahren, in „Ernst Bauer – Tod auf Raten“ formulierte: „Fritz Bauer war ein Komplott der deutschen Geschichte gegen ihre Unzeit.“