Zehn Jahre nach der grandiosen Hiob-Komödie „Adams Äpfel“
(fd 37 779) kehrt der Däne Anders Thomas Jensen als Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion in die Kinos zurück. Zwischenzeitlich wurden zwei Filme, die auf Drehbüchern Jensens basierten, „Oscar“-nominiert bzw. -prämiert („Nach der Hochzeit“, fd 38 020, „In einer besseren Welt“, fd 40 359). Der Ausgangspunkt von „Men & Chicken“ ist konventionell und mit grobem Strich gezeichnet: die beiden höchst unterschiedlichen Halbbrüder Gabriel und Elias erfahren per Video von ihrem verstorbenen Vater, dass er nicht ihr leiblicher Vater gewesen sei. Ihr „richtiger“ Vater, ein berühmter Wissenschaftler, lebe auf einer kleinen Insel vor der dänischen Küste. Die Beiden machen sich auf den Weg, um mehr zu erfahren. Schon die Reise auf die Insel gestaltet sich skurril. Gabriel, ein Philosoph und Evolutionspsychologe, leidet unter plötzlich auftretendem Würgreiz, Elias, ein aufbrausender Nichtsnutz und zwanghafter Masturbator, ist geradezu herausfordernd hässlich, was der Film für ein paar obskure und provozierend geschmacklose Jokes nutzt. Auf der Insel begegnen sie im pittoresk herunter gekommenen Sanatorium drei weiteren Halbbrüdern: Franz, Josef und Gregor. Nur der gesuchte Vater lässt sich nicht blicken; der kranke, alte Mann werde von Franz betreut, wünsche aber niemanden zu sehen, heißt es. Auch die Halbbrüder, die mit einer Unmenge von Tieren zusammen leben, haben allesamt spezifische Macken; überdies sei jede ihrer Mütter bei der Geburt gestorben, heißt es.
Der Film nimmt sich viel Zeit, um die seltsame Männergesellschaft mit ihrer Exzentrik, eruptiven Aggressivität, ihrem Stumpfsinn und den nicht hinterfragten Regeln auszumalen. Anscheinend eint die Halbbrüder ein dunkles Geheimnis, doch nur Gabriel ist wirklich daran interessiert, es aktiv aufzuklären, wird aber immer wieder von Franz behindert. Offensichtlich ist der Vater, einst berühmt, dann in Unehren entlassen, ein „mad scientist“ gewesen. Wer genauer hinschaut, dem kann nicht entgehen, womit er experimentiert hat. Doch es dauert, bis Gabriel Wunsch nach Aufklärung auch die anderen Brüder infiziert. Schließlich gibt es nicht nur das verbotene Obergeschoss des Sanatoriums, sondern auch noch eine verschlossene Kellertür. Manchmal sitzen die Brüder auch nur zusammen, diskutieren ihre höchst eigenwilligen Bibelexegesen oder tauschen sodomistische Erfahrungen aus.
Als betont dreckige Horrorkomödie über Genetik, Menschenversuche, Missbrauch und Wissenschaftshybris ist „Men & Chicken“ selbst eine immer wieder überraschende, aberwitzige, aber auch etwas krampfhafte und ermüdende Kreuzung aus „The Three Stooges“
(fd 41 352) und „Die Insel des Dr. Moreau“
(fd 20 552), aus schwarzer Komödie und schwarzer Romantik, verbunden mit etwas Gesellschaftskritik an der Kunst, einfach nicht so genau hinzuschauen, um potentielle Konflikte zu vermeiden. Die fünf ungleichen Halbbrüder, allesamt originell „designt“ mit den Eigenschaften unterschiedlicher und nicht-kompatibler Gen-Pools, müssen sich gewissermaßen stellvertretend und mit ziemlicher Verspätung philosophische Fragen um Herkunft und Identität stellen und aus der sozialen Isolation zum Prozess der Zivilisation finden.
Im Verlauf des Films stellt sich so allmählich eine fragile Balance zwischen dem Grotesken, dem Burlesken und der existentiellen Tragik her, die es dem Zuschauer erlaubt, Mitleid und Verständnis für diese seltsamen Halbbrüder und ihre Ticks zu empfinden. Insofern gelingt es Anders Thomas Jensen ein weiteres Mal, aus einer betont abstrusen Ausgangskonstellation eine verbindliche humanistische Reflexion zu entwerfen. Auch wenn man sich hier durch ein mit grimmigem Humor gestaltetes und betont abstoßendes Set von Obszönitäten und Verwahrlosungen kämpfen muss.