Zimmermädchen sind vor allem im französischen Film eine feste Größe. Man denke nur an Jeanne Moreau in „Tagebuch einer Kammerzofe“
(fd 12 928), Emmanuelle Béart in „8 Frauen“
(fd 35 480) oder Virginie Ledoyen in „La fille seule“
(fd 32 542). Eine französische Grundierung gönnt sich auch der neue Film von Ingo Haeb. Die Heldin schaut sich am Laptop immer wieder alte französische Filme an. Für Atmosphäre sorgen französische Chansons samt der chronisch mädchenhaft schmachtenden Frauenstimmen. Und an der Kamera agiert Sophie Maintigneux, die schon für Rohmer „Das grüne Leuchten“
(fd 26 174) fotografierte und gerade per Anwalt um den Chef-Posten an der Berliner Film- und Fernsehakademie kämpfen muss, die ihr eine merkantil fixierte Senatspolitik verwehrt. Selbst die Hauptdarstellerin Vicky Krieps hat mit ihrer luxemburgischen Herkunft einen beinahe französischen Hintergrund. Kein Wunder also, dass die Machart der unaufgeregten Romanverfilmung nach Markus Orths auf der Schnittstelle zwischen französischem und deutschem Autorenfilm balanciert.
Im Mittelpunkt des fast ausschließlich in geschlossenen Räumen spielenden Frauenporträts steht ein junges Zimmermädchen mit einer Menge Neurosen. Weil sie sich vom Putzen zwanghaft angezogen fühlt und ihre voyeuristischen Neigungen versteckt unter den Betten der Hotelgäste auslebt, nimmt Lynn es in Kauf, ihren Vorgesetzten mit sexuellen Diensten zu bestechen, damit er sie wegen ihrer grenzüberschreitenden Eskapaden nicht feuert. Dazu gehört das Anziehen fremder Kleidung ebenso wie das Durchwühlen privater Notizen. Ihren Wochenverlauf notiert sie pingelig in einem Kalender. Zwischen Fitnesstag und Besuchen bei ihrer Mutter, zu der sie ein blockiertes Verhältnis ohne Räume für Schwächen und ehrlichen Austausch pflegt, gehört der Montag dem Therapeuten. Die oft erfundenen Berichte über ihre Fortschritte kommentiert dieser mit den immer gleichen sinnfreien Floskeln. Hilfe kann Lynn, die auch schon einen Aufenthalt in der Psychiatrie absolviert hat, hier nur in homöopathischen Dosen erwarten.
Ohnehin hat man nicht den Eindruck, dass sie geheilt werden möchte. Das Leben der Anderen und die Routine ihres monotonen Jobs genügen ihr. Die manische Putzerei bekommt doch noch einen Dämpfer, als Lynn einen Gast beim käuflichen SM-Sex beobachtet. Sie findet Gefallen an den Schlägen, die eine androgyne Blondine dem vor Glück jauchzenden Familienvater für 200 Euro pro Stunde verabreicht. Obwohl eigentlich eine verhuschte Erscheinung, die ihr Selbstwertgefühl aus dem Nutzen keimfreier Räume bezieht, traut sich Lynn endlich, an sich selbst zu denken. Sie bestellt die Schmerz-Fachfrau in Gestalt der sehr überzeugenden Lena Lauzemis in ihr Apartment, und siehe da, zwischen den beiden ungleichen Außenseiterinnen bahnt sich so etwas wie eine aussichtslose, aber umso intensivere Begegnung an, die von einem sanften Kräftemessen getragen wird.
Die Regie ist weit entfernt vom bloßen Durchbuchstabieren des inneren Schlamassels, in dem Lynn steckt. Sie ist diszipliniert und ökonomisch, aber auch willig, unerwartete Akzente zu setzen. Mit Katastrophen ist nicht zu rechnen. Eher mit stillen Entladungen einer Sehnsucht nach Nähe, für die Konventionen ein Fremdwort sind. Keine Sexszene entgleist. Hinter den leidensfähigen Körpern warten hungrige Seelen auf ein Gegenüber. Vicky Krieps ist die Rolle der exzentrischen Romantikerin wie auf den Leib geschnitten. Ihre Lynn ist von Beginn an nicht ganz da in ihrem langsamen Inselleben. Und doch so sehr an jedem Detail außerhalb ihrer selbst geschaffenen Blase interessiert, dass man ihr die unglaubwürdigste Metamorphose zutraut.
Wenn ihre Emotionen und Wünsche Umwege nehmen, um doch noch bei sich anzukommen, spaltet sich ihr Gesicht wie eine Landkarte in unzählige Möglichkeiten auf. Die Distanz zwischen freudlosem und sinnlichem Aufschauen liegt dann nur wenige Kinominuten entfernt. Vor der intimen Kamera geschieht spätestens nach solchen bravourös bewältigten Stimmungssprüngen das Wunder einer in ihrer Rolle mit Haut, Hirn und Haar aufgehenden Schauspielerin. Das Ende, das von einem durch graue Vororte Richtung Meeresküste gleitendem Bett eingeläutet wird, in dem es sich Lynn mit ihrer Wunsch-Geliebten gutgehen lässt, belässt alles offen. Die Anspannung einer von Geld kontrollierten Beziehung ist auf diesem surrealen Terrain wie weggeblasen. Und die kitschig-idyllischen Chansons scheinen einen Sieg davonzutragen. Ein so perfekter wie verräterischer Traum für die nächste Therapiesitzung. Mehr Glück ist in diesem beglückenden Film nicht zu haben.