Aufgekratzt fahren die beiden grauen Herren zu ihrer Verabredung. Der Eiffelturm erscheint durch die Fensterscheiben der Hochbahn. Ein Akkordeon ertönt. „Heiraten Sie bloß nicht. Wenn man verheiratet ist, kann man gar nichts mehr machen“, ruft der lautere der beiden der jungen Dame gegenüber zu. Als sie aussteigen, führt er ein Tänzchen am Bahnsteig auf, bis er plötzlich husten muss. Er brauche jetzt Tabletten, um einen hochzukriegen, gesteht er dem Freund. Sie gehen tanzen, ins „Memphis“, Frauen kennenlernen. „Bonjour, mesdames“. „Tanz mit mir“, ruft eine von ihnen, „mais pas la valse“, keinen Walzer, bitte. Angenehm gestrig wirkt dieser Ort, aufgefordert wird an Sitzgruppen mit geschwungenen Porzellanlämpchen an den Tischen. Paso Doble, Tango, Rock’n’Roll – auf der Tanzfläche drücken die Herren ihre Eroberungen eng an sich.
Der „Parcours d’Amour“, wie Bettina Blümner ihren Dokumentarfilm über die liebesbedürftigen Alten genannt hat, steht natürlich in Paris – wo laut einem Schlager von Caterina Valente die ganze Stadt von der Liebe träumt. Wie die betagteren Kinder dieser Stadt von der Liebe träumen, von ihr leben, durch sie noch teilhaben an der Welt, davon erzählt zunächst die Rentnerin Christiane. Seit über vierzig Jahren lebt sie in einer Trabantensiedlung. Am helllichten Tage übt sie ihre Schritte („Wenn ich nicht tanze, fühle ich mich krank“), resümiert ihre gescheiterte Ehe („Für die Kinder war es besser, dass ich mich scheiden ließ“) und trällert zum Klimpern einer Spieluhr. Dann zückt sie, wie so oft jemand in diesem Film, ein Album mit Schwarzweißfotos. Christiane als Kind in einem Waschzuber, als junge Dame im Bikini am Strand.
Anders als die nüchtern schildernden Frauen neigen die porträtierten Männer eher zu liebenswerter Prahlerei. Sie geben Ratschläge, wie man den besten Sex hat („alle drei, vier Jahre die Frauen wechseln“) und ziehen sich beim Blick ins Fotoalbum gegenseitig auf. „Das ist ja immer die gleiche Frau – in meinem Album gibt es 20 Frauen!“, behauptet der hagere Eugène, der später weltverloren resümiert: „Mit achtzig hat man keine Zukunft mehr.“ Doch auch pekuniäre Motive treiben die Menschen hierher. In den Tanzlokalen tummeln sich Eskortsenioren, die sich hier Taxiboys nennen: Einer von ihnen trägt einen blauen Anzug, weißes Hemd, Krawatte, ein versierter, sehr beherrschter Tänzer. Für 50 Euro die Stunde teilt er seine Zeit und mehr mit einsamen Damen. Zu Hause zeigt sich der Taxiboy beim Gärtnern, an der Spüle. Am Terrassentisch neben seiner jüngeren Frau sinniert er über seine lieblose Jugend. Erzählt vom Vater, den er nie kennenlernte. Erzählt von der Mutter, die ihm nichts zutraute.
Bettina Blümner porträtierte in „Prinzessinnenbad“
(fd 38 178) einfühlsam eine Kreuzberger Mädchenclique. Nun widmet sie sich gleichsam dem anderen Ende des Lebens. Manchmal fragt man sich, ob diese Protagonisten wohl glücklich sind mit ihrer Rolle. Haben sie das gesellschaftlich vorgesehene Korsett abgestreift, dürfen sie sich endlich so benehmen, wie sie es schon immer wollten? Vielleicht ist das Korsett auch ein anderes geworden. Eines, in dem man selbst im Alter keine Schwäche zeigen darf, mit seinen Erfolgen zu prahlen hat. In zeitgenössischen Spielfilmen, welche die vitalen Senioren längst als Zielgruppe adressieren, residieren sie als Best-Ager in „Best Exotic Marigold Hotels“. Die scheinbar unkonventionellen, stets fröhlichen tanzenden Alten sind dabei schon selbst zum Klischee erstarrt. Doch die Damen und Herren des „Parcours d’Amour“ fügen sich nur scheinbar in dieses Wohlfühlbild. Zu ernsthaft wirken sie schließlich, zu beschwerlich sind ihre Lebensumstände. Zurück bleibt aus dieser charmanten, nie romantisierenden Milieustudie eine melancholische Katerstimmung. Die Lichter sind aus, die Menschen verschwinden in den Metroschächten.