Dokumentarfilm | Polen/Deutschland 2014 | 76 Minuten

Regie: Elwira Niewiera

Der Sportminister des halbautonomen Zwergstaats Abchasien setzt alles daran, die Domino-Weltmeisterschaft nach Sochumi ans Schwarze Meer zu holen, um damit gegen die Lethargie und den allgemeinen Niedergang des Landes anzugehen. Seine Bemühungen rufen absurde Reaktionen hervor, die nicht selten in unfreiwilligem Klamauk münden; auch seine kriselnde Ehe gerät in heftige Turbulenzen. Mit geschärfter Aufmerksamkeit für die Verbindung von privaten und gesellschaftlichen Konflikten gelingt dem Dokumentarfilm die Zustandsbeschreibung einer weniger bekannten Region und zugleich das einfühlsame Porträt einer zärtlichen, wenngleich fragilen Beziehung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EFEKT DOMINA
Produktionsland
Polen/Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Otter Films/zero one film
Regie
Elwira Niewiera · Piotr Rosołowski
Buch
Elwira Niewiera · Piotr Rosołowski
Kamera
Piotr Rosołowski
Musik
Maciej Cieślak
Schnitt
Karoline Schulz · Andrzej Dąbrowski
Länge
76 Minuten
Kinostart
09.04.2015
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Am Kieselstrand von Sochumi nehmen die Menschen ein Bad zwischen dem vor sich hingammelnden Steg und einem gestrandeten Schiffswrack. Das Zusammenspiel von Rost, grauem Beton und malerischen Sonnenuntergängen strahlt dabei einen ganz eigenen, ramponierten Charme aus. Sie habe geglaubt, im Paradies gelandet zu sein, als sie das erste Mal mit ihrem neuen Mann Rafael nach Abchasien gekommen sei, erzählt die aus Moskau stammende Sängerin Natascha. Mehr als ein Jahr später und in Erwartung eines Babys hat sich ihr Blick allerdings radikal gewandelt. „In Abchasien werde ich nie jemand sein“, sagt sie und klagt über die mangelnde Herzlichkeit und Offenheit der Abchasen: „Euer Volk besteht aus Idioten, die weder arbeiten noch sonst was tun wollen.“ Mit ihrem Mann kommt es vermehrt zu Konflikten, der Tonfall ist mitunter harsch, Natascha weint viel, in der Krise wird auch ihre Tochter aus erster Ehe zerrieben, die ihre Sommerferien bei der Mutter verbringt. Fragil und angreifbar aber wirkt nicht nur diese doch überwiegend sehr zärtliche Beziehung, die an den unterschiedlichen kulturellen Mentalitäten und Nataschas Fremdheitsgefühlen zu zerbrechen droht. Der halbautonome Zwergstaat Abchasien, im Süden des Kaukasus gelegen und an das Schwarze Meer angrenzend, steht ökonomisch wie völkerrechtlich auf wackeligen Beinen. Nachdem die Republik sich infolge eines blutigen Bürgerkrieges von Georgien lossagte, haben nur vier UN-Mitgliedsstaaten ihre staatliche Unabhängigkeit anerkannt; eine wirtschaftliche Grundlage fehlt, der Staat ist auf russische Hilfe angewiesen. In seiner Funktion als Sportminister lässt Rafael Ampor daher nichts unversucht, um die abchasische Identität zu stärken. Doch nicht selten bringen die eifrigen Bemühungen nur Situationskomik hervor. Das Bewerbungsverfahren für ein Sportstudium endet in einer unfreiwilligen Klamauk-Nummer, die „Sportler“ scheitern schon an Purzelbaum und Standwaage. Im Fußballstadium wird über Lautsprecher stolz die 19. Spielzeit der abchasischen Fußballmannschaft angekündigt, allein das Publikum fehlt, nur vereinzelt sitzen ein paar Zuschauer auf den Rängen. Ernst zu nehmende internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung erhofft sich Rafael von der anstehenden Domino-Weltmeisterschaft. In der Sporthalle wird für die Eröffnungszeremonie geprobt, Fahnen werden geschwungen, Tanzschritte einstudiert. Auf einer Stadtrundfahrt bekommen die angereisten Gäste einen Crashkurs in abchasischer Geschichte. Die Halle ist gut gefüllt, aber wie so oft kommt es zum Stromausfall. Den beiden Filmemachern Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski gelingt mit „Domino Effekt“ das ebenso geduldige wie einfühlsame Gegenwartsporträt einer wenig bekannten Region. Ein wiederkehrendes Motiv sind Travellings entlang den verlassenen, von ehemaligen Prachtbauten gesäumten Straßen. Es sind Geisterstraßen und Geisterarchitekturen. Wo früher Fenster waren, klaffen nun tiefe schwarze Löcher aus dem Beton. Im Mittelpunkt aber stehen die beiden Protagonisten, der immer leicht melancholisch wirkende Rafael und seine um einiges jüngere Frau Natascha. Doch selbst wenn der Film dem Paar und ihrer krisenhaften Dynamik gelegentlich recht nahe rückt, hat man nie das Gefühl, einem privaten Drama beizuwohnen. Der Blick der Filmemacher ist nie intimisierend, sondern bleibt stets auf das gesellschaftliche Umfeld bezogen. Denn schließlich ist die Frage nach der Tragfähigkeit der Beziehung auch eine Frage nach der Tragfähigkeit einer Region, deren Energie sich im Getriebe territorialer Ansprüche gänzlich aufzubrauchen droht. Eine Ahnung von den Schatten der Vergangenheit vermitteln Archivbilder aus dem Jahr 1993, die kommentarlos eine Autofahrt unterbrechen: Leichen liegen am Straßenrand, Häuser und Panzer brennen, Rafael ist in Uniform zu sehen, er vergräbt sein Gesicht in den Händen. Später erzählen zwei alte Männer, dass nach dem Krieg das Domino-Spiel ihre Nerven beruhigt habe; unbeabsichtigt seien sie darüber zu Profis geworden.
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