Die Gemälde scheinen in eine seltsame jenseitige Welt zu führen. Zwar erinnern die Hintergründe an vertraute Szenerien, doch sie verblassen angesichts der Kinder im Vordergrund, die aus riesigen dunklen Augen traurig aus dem Bild heraus starren. Man könnte in dem Künstler eine dunkle Seele vermuten, doch Margaret Ulbrich ist nichts von einem beunruhigenden Innenleben anzumerken. Freundlich, zurückhaltend und bescheiden verbringt die junge Frau die Wochenenden beim Straßenverkauf, lässt sich ihre Bilder abluchsen und kann die immer gleichen Fragen („Warum haben die Kinder so große Augen?“) nie befriedigend beantworten. Nicht einmal dem charmanten Walter Keane, der am Stand nebenan Pariser Straßenszenen anpreist und so viel Interesse an Margaret zeigt, dass die beiden sich von da an häufig sehen und schließlich heiraten.
Es könnte der Beginn einer fruchtbaren Künstlerpaarung sein, doch bei einem Film von Tim Burton ist man stets gut beraten, nicht dem ersten Eindruck zu trauen. So auch bei seinem Malerinnen-Biopic: Die kräftigen Technicolor-Farben erzeugen zwar eine für Burton ungewohnte Wärme, erinnern aber auch an den Look der von ihm verehrten Horrorfilme der britischen Produktionsfirma „Hammer“, wenn sich nach und nach die Untiefen der Künstlerehe offenbaren; denn hinter der liebenswürdigen Fassade von Walter Keane steckt ein enormer Geltungsdrang, der auf kreative Auswege verfällt, als die etablierten Galerien der späten 1950er-Jahre sowohl seine als auch Margarets Bilder ablehnen. Er findet eine Ausstellungsfläche in einem aufstrebenden Szeneclub in San Francisco und bald auch Käufer – allerdings nur für die Gemälde mit den großäugigen Kindern. Der Annahme, dass auch diese von ihm stammen, widersetzt er sich nicht, und so gilt er bald als deren Schöpfer. Margarets Schüchternheit hindert sie am öffentlichen Bloßstellen ihres Ehemanns, der sie davon überzeugt, dass sie besser fahren, wenn er die Gemälde als seine Werke vermarktet. Über Jahre hinweg fertigt Margaret weitere Kunstwerke für ihren Mann, der auf die Nachfrage mit neuartigen Geschäftsideen reagiert: Neben den Bildern blicken die traurigen Kinderaugen bald von Postern, Postkarten, Tassen oder T-Shirts, die ebenso rasenden Absatz finden wie die Originale.
Als grelle Satire auf die Kommerzialisierung von Kunst und die seltsamen Auswüchse des Massengeschmacks erscheint „Big Eyes“ an vielen Stellen lustvoll überzogen, doch tatsächlich bleiben Tim Burton und seine Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski nah an der Historie. Margaret Keane ließ sich wirklich jahrelang übervorteilen und gab sich erst nach der Trennung Mitte der 1960er-Jahre als Schöpferin der Bilder zu erkennen, was Walter trotz aller Gegenbeweise bis zu seinem Tod 2000 beharrlich bestritt. Burton, selbst Besitzer mehrerer, zum Teil eigens in Auftrag gegebener Keane-Bilder, verknüpft die wechselhafte Geschichte des Paars mit einer Darstellung ihrer Anfeindungen durch die Kunstszene: Entgeistert verfolgen Galeristen und Kritiker den Aufstieg und sparen nicht mit verletzenden Kommentaren zu diesem „abstoßenden Kitsch“. Der bemerkenswert offene Umgang mit dieser ablehnenden Haltung ist dramaturgisch ähnlich klug wie die selbstbewusste Präsentation des „schlechtesten Regisseurs der Geschichte“ in „Ed Wood“
(fd 31 408). Man muss als Zuschauer Margaret Keanes Bilder nicht lieben, um sie als Mensch wertschätzen zu können; zugleich wird begreifbarer, warum die sensible Malerin sich hinter ihrem dickhäutigeren Mann versteckte.
„Big Eyes“ vollzieht mitunter etwas abrupte Sprünge zwischen der leichten Erzählhaltung und der Bedrohung, die aus Walters geringer Frustrationstoleranz erwächst, was die zwei brillanten Hauptdarsteller freilich locker überspielen. Amy Adams findet mit ihrer warmherzigen Ausstrahlung und subtilem Spiel viel Raum, um die introvertierte Margaret als vielschichtige Frau voller Emanzipationswünsche zu zeichnen; Christoph Waltz zelebriert genüsslich die extrovertierte Aufschneiderei von Walter Keane, der trotz seines negativen Charakters einnehmende Züge behält. Darin gleicht er Burton-Figuren wie dem Poltergeist in „Beetlejuice“
(fd 27 141) oder dem Joker in „Batman“
(fd 27 905), während Margaret, die fernab von den Augen der Welt in ihrer Mansarde vor sich hin malt, nicht weit von einem Außenseiter-Künstler wie „Edward mit den Scherenhänden“ entfernt ist. Bei allem Einfühlungsvermögen in Zeit und Figuren ist Burton nach wie vor kein Gesellschaftskritiker oder Realist, sondern ein fantasievoller Filmemacher, der keine Scheu hat, seine Geschichten ins Überlebensgroße zu übersteigern. So unterhaltsam und mitreißend wie bei „Big Eyes“ ist ihm das schon lange nicht mehr gelungen.