Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux III

Abenteuer | Philippinen 2015 | 140 Minuten

Regie: Kidlat Tahimik

Weil er der spanischen und der portugiesischen Sprache mächtig ist, wird ein philippinischer Sklave wird im 16. Jahrhundert gezwungen, an einer Expedition des Seefahrers Magellan teilzunehmen. Mit schwereloser, überbordender Fabulierlust entfaltet der Film eine farbenprächtige Erzählung, die mit unterschiedlichsten Genre-Elementen formal kunstvoll gebrochen eine alternative postkoloniale Geschichtsschreibung unternimmt, die für vielerlei Anschlüsse offen ist. Mit dem hybriden Film vollendet der philippinische Regisseur Kidlat Tahimik ein 1980 begonnenes Werk, in dem er die damaligen Filmaufnahmen mit einer Fülle an Reflexionen, Ausblicken, Seitensträngen und Erzählebenen durchwirkt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BALIKBAYAN #1 MEMORIES OF OVERDEVELOPMENT REDUX III
Produktionsland
Philippinen
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Voyage Studios
Regie
Kidlat Tahimik
Buch
Kidlat Tahimik
Kamera
Boy Yniguez · Lee Briones · Abi Lara · Santos Bayucca · Kidlat de Guia
Musik
Los Indios de Espana · Shanto
Schnitt
Charlie Fugunt · Abi Lara · Chuck Gutierrez · Clang Sison · Malaya Camporedondo
Darsteller
Kidlat Tahimik (Enrique) · George Steinberg (Ferdinand Magellan) · Kawayan de Guia · Wigs Tysman · Katrin de Guia
Länge
140 Minuten
Kinostart
10.03.2016
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Abenteuer | Drama | Historienfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Der »Caligari«-Preisträger: Ein genialer Filmhybrid von Kidlat Tahimik, ausgehend von einer alternativen postkolonialen Geschichtsschreibung

Diskussion
Die Bewegungen des Films gehen in alle Richtungen: Sie verlaufen in sich überkreuzenden Diagonalen, in Parallelen, vor allem jedoch in Kreisen. Der Kern des Films – falls sich bei einem so dichten, entgrenzten Werk wie „Balikbayan #1“ überhaupt von einem Kern sprechen lässt – ist die Korrektur eines Narrativs, das noch heute in Schlagern besungen wird. Es handelt von dem großen portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan, der im Auftrag der spanischen Krone die erste Weltumsegelung in Angriff nahm, bevor er kurz vor dem Ende der Reise bei einer Schlacht von Stammeskriegern getötet wurde. In Kidlat Tahimiks Parallelgeschichte ist indes Enrique von Melakka, ein Sklave Magellans, die Hauptfigur; ein Übersetzer philippinischer Sprachen ins Portugiesische und Spanische – und, so will es die Umschreibung, der erste Mensch, der die Welt tatsächlich umrundete. Dieser Enrique kehrt nach seiner Reise um den Erdball zu seinem Ausgangspunkt zurück – so wie der Hall, der der Off-Stimme im Film wiederholt unterlegt ist. Vergleichbar auch dem Jo-Jo, das laut eines französischen Schriftstücks aus dem 17. Jahrhundert philippinischen Ursprungs ist und bei Tahimik eine verschmitzt allegorische Bedeutung erhält (ein Evergreen in all seinen Filmen). Eine Fülle an Rückkehr- bzw. Reinkarnationsbewegungen durchwirken den Film. So taucht der philippinische Regisseur immer wieder in verschiedenen „Variationen“ auf: als junger Enrique auf verkratzten Filmbildern, die zu Beginn des Films aus der Erde ausgegraben werden, in einem Musikvideo zu einem populären Magellan-Lied, als alter Mann mit schlohweißem Haar und Bart auf den doppelbelichteten Bildern eines Fotografen, der, kaum zufällig, auch Enrique heißt. „Balikbayan #1“ ist eine schwerelos fabulierende, kaum zu bändigende Filmerzählung, die mit Elementen des Home Movies, des Historien- und Kostümfilms, des Stummfilms, der postkolonialen Studie, des „Making ofs“ jongliert – oder eher: Jo-Jo spielt –, ohne auch nur eine dieser Formen wirklich in Reinform zu betreiben. Verschiedene Historiografien und Sub-Historiografien werden verwoben: die offizielle Geschichte der ersten Weltumsegelung, die durch die Aufzeichnungen des Chronisten Antonio Pigafettas bekannt wurden, Enriques persönliche Geschichte sowie Tahimiks „Director’s Cut“, in dem der Filmemacher seine 1980 begonnenen Filmaufnahmen 35 Jahre später in einem Dorf in der Provinz Ifugao fortsetzt. Jeder dieser Erzählstränge ist in sich wiederum hybrid und offen. Offen ist der Film auch für Anschlüsse an die Gegenwart. Programmatisch nennt Tahimik, einer der wichtigsten Vertreter eines „Dritten Kinos“, seinen Film „Balikbayan“ – das philippinische Wort für Gastarbeiter. Der Film entwirft Enrique, der von Magellan als Arbeitskraft ausgeliehen wurde, um mit den Einkünften die Reisekasse aufzubessern, als ersten Arbeitsmigranten. An anderer Stelle kommt der Begriff Outsourcing ins Spiel und wird weitergesponnen zum „outwooding“: die Spanier bauten ihre Schiffe nämlich mit philippinischem Holz. Nie kommt der Film zum Stillstand oder zu einem Abschluss. Szenen wiederholen sich in leichter Abwandlung, hallen wider wie ein Echo. Unterschiedliche Bildqualitäten und Repräsentationsmodi stehen neben- und schieben sich ineinander: Video, 8mm, 16mm, von Video abgefilmtes Celluloid. Immer wieder sieht man das alte Filmmaterial auf einer Leinwand laufen, andere Bilder flimmern auf Monitoren, am Schneidetisch – das Bild gehört einer zweiten Ordnung an, ist nie fixiert, sondern durchläuft vielmehr ständige Transfomationsprozesse. So sträubt sich auch der Off-Kommentar, der die farbenprächtige Enrique-Geschichte begleitet, gegen eine straffe, auf eine historische Wahrheit pochende Rhetorik. „Jetzt stellen wir uns vor, dass ...“, heißt es etwa leicht beiläufig, oder: „Nun sehen wir in einer Szene wie...“ Die Geschichte scheint im Sprechen zurückzukehren, sich dabei neu zu formen. Sie ist lebendiges Material.
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