Die Nachricht, dass das weltberühmte japanische Ghibli-Studio demnächst die Produktion einstellt, betrübt viele Liebhaber der Zeichentrickkunst. Der mutmaßlich vorletzte Ghibli-Film macht den Abschied noch schwerer, ist „Die Legende von Prinzessin Kaguya“ doch einer der bemerkenswertesten Zeichentrickfilme der letzten Jahre.
Ein alter Bambussammler findet im Wald ein winziges Baby, das unnatürlich schnell zu einem Mädchen heranwächst. Da der Mann und seine Frau kinderlos sind, betrachten sie das Mädchen als himmlisches Geschenk, als ihre Prinzessin, die sie Takenoko, „Bambussprössling“, taufen. Das Kind genießt das Leben in den Bergen mit den anderen, das Spiel in der Natur und die Freundschaft zu dem Jungen Sutemaru. Als der Bambussammler aber Goldstücke in einem Gehölz findet, deutet er dies als göttliche Botschaft, das Kind zu einer echten Prinzessin zu machen. Die Familie zieht deshalb in die Stadt, in der das Kind von einem Adeligen auf den Namen Kaguya getauft wird. Doch die Erziehung zu einer anmutigen Prinzessin unterliegt einem strengen Reglement, das Kaguya zunehmend unglücklicher werden lässt.
Regisseur und Drehbuchautor Isao Takahata greift hier ein altes japanisches Volksmärchen aus dem zehnten Jahrhundert auf, wenngleich seine Interpretation persönlicher und dichter am Leben Kaguyas ist. Ihn interessiert weniger die mythisch-zauberhaften Dimensionen als vielmehr, was Menschlichkeit ausmacht und was es bedeutet, ein Kind zu sein. Es ist Takahatas erster Ghibli-Film seit 14 Jahren; fast acht Jahre befand sich „Die Legende von Prinzessin Kaguya“ in der Entwicklung. Das Ergebnis ist ein melancholischer, von intellektueller Traurigkeit geprägter Film, der sich primär an ein erwachsenes Publikum richtet. Mit über zwei Stunden Laufzeit gibt Takahata der Geschichte einen epischen Atem, der die Konzentrationsfähigkeit vieler Kinder überfordern würde.
Bemerkenswert ist auch die Ästhetik des Films, denn anders als bei den bisherigen Ghibli-Filmen wirkt der Zeichenstil zunächst vergleichsweise grob – Konturlinien bleiben ungeschlossen, Füllfarben erreichen die Konturlinien nicht, dann wieder überlappen sie. Zeichenkohle und Wasserfarben bestimmen die Bilder, die manchmal an Skizzen oder Storyboard-Zeichnungen erinnern. Doch der erste Eindruck verliert sich schon bald, denn die Animation ist anmutig und voller Charme, während die nahezu minimalistischen Hintergründe genug andeuten, um sie mit eigener Fantasie füllen zu können. Zudem variiert der Stil und passt sich dem Innenleben von Kaguya an: Wenn sie hört, wie die geladenen Adeligen ihre Ehrbarkeit in Frage stellen und sie daraufhin in ihre Heimat zurück flüchtet, werden die Bilder expressiv und wild. Hektische Striche illustrieren ihren Wunsch, aus dem gesellschaftlichen Korsett auszubrechen. Im Dorf wähnt Kaguya ihren Jugendfreund, doch auch dort hat sich das Leben weiterentwickelt, und die Menschen sind fortgezogen, um dem gerodeten Berg Erholung zu gönnen. So ist der Film vor allem eine Parabel über den Verlust der Kindheit, über das Verlorensein in einer ebenso fremdartigen wie fremdbestimmten Welt. Ein wunderbarer, nachdenklicher Film, der berührt und voller Abschiede zu sein scheint, ohne dabei je in Sentimentalität abzugleiten.