Dokumentarfilm | Deutschland/USA 2014 | 113 Minuten

Regie: Laura Poitras

Im Juni 2013 treffen sich die Filmemacherin Laura Poitras und der Journalist Glenn Greenwald in Hongkong mit dem US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der ihnen via Mail-Verkehr Beweise für die Massenüberwachung und Massenausspähung normaler Bürger durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA in Aussicht gestellt hat. Poitras dokumentierte die Treffen mit der Kamera, was die Basis für einen faszinierenden Dokumentarfilm über die Snowden-Affäre bis zu seinem Asyl in Russland und die politische Sprengkraft seiner Enthüllungen liefert. Zwar bringt er dabei kaum neue Erkenntnisse und bleibt zwangsläufig einseitig im Ansatz, beeindruckt aber als engagierte und spannende Aufarbeitung eines weltweit Kreise ziehenden Skandals. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CITIZENFOUR
Produktionsland
Deutschland/USA
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Praxis Films
Regie
Laura Poitras
Buch
Laura Poitras
Kamera
Kirsten Johnson · Trevor Paglen · Laura Poitras · Katy Scoggin
Schnitt
Mathilde Bonnefoy
Länge
113 Minuten
Kinostart
06.11.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Von Edward Snowden hat heute vermutlich wirklich jedes Kind gehört. Aber wer ist dieser ehemalige Analyst der NSA? Ein Held oder ein Verräter, ein Naivling oder ein gemeingefährlicher Krimineller? Ein Freiheitskämpfer oder ein Terrorist? Der Verbündete einer fremden Macht oder ein Freund der Völker? Ideologe oder Söldner? Alle diese und viele andere Charakterisierungen schwirren im weltweiten Kommunikations- und Datenraum. Laura Poitrasʼ Film „Citizenfour“ ist nun der erste Dokumentarfilm, der Snowdens Geschichte zu erzählen versucht und der einen extensiven Einblick in die Persönlichkeit dieses berühmten, überaus ungewöhnlichen Mannes bietet. Dies geschieht nicht zuletzt durch ein umfangreiches Interview: „Citizenfour“ ist auch ein journalistischer Scoop. „Iʼm not the story here“ – die Medien seien immer zu sehr auf Personen fixiert, auf das allzu schlichte Schema der Heldenreise. Mit diesen ersten Sätzen, die er selber sagt in diesem Film, liefert Edwards Snowden gleich dessen Kritik. Und indem der Film dies transparent macht, wird sie zur Selbstkritik, und zum Erzählmittel: Personen verkaufen Inhalte. Um die skandalösen Rechtsbrüche der demokratischen Regimes in den USA und Großbritannien publik zu machen, brauchten die Medien einen David, der allein gegen den Goliath der Geheimdienst- und Abhörkrake aufstehen und Widerstand leisten würde. Dies ist Snowdens weltgeschichtliche Rolle. Seine Enthüllungen waren ein globaler Einschnitt, nur unwesentlich geringer als der 11. September 2001. Poitrasʼ Film zeigt ein Interview, die Snowden bereits in seinem Hongkonger Hotelzimmer gegeben hat, nachdem er die ersten „Whistleblower“-Informationen dem Reporter Glenn Greenwald übergeben hat, den er unter dem Pseudonym „Citizenfour“ kontaktiert hatte, und der sie auf „Salon“, im „Guardian“ und in seinem Buch „No Place to Hide“ veröffentlichte. Snowden spricht darin vor allem über das, was unsere Regierungen mit unserer Privatsphäre tun, wie sie schnüffeln und spionieren, wie sie Daten sammeln und kombinieren. Er beschreibt, wie sinnlos das alles ist, aber auch warum es trotzdem gefährlich ist. Der Film erklärt schlüssig, dass diese Privatsphäre nicht etwa allmählich erodiert, weil „wir nachlässig mit unseren Daten umgehen“, sondern dass sie abgeschafft wird von denen, die dafür bezahlt und ermächtigt werden, sie zu verteidigen. An deren Stelle tritt eine digitale Geheimdienstorganisation, die mit den neuen technischen Möglichkeiten bürokratische Monstren errichtet, die auch in den Demokratien alles weit in den Schatten stellen, was einst Praxis des Totalitarismus hieß. Und Poitrasʼ Film argumentiert, wie der öffentliche Diskurs über „die neuen Medien“, soziale Netzwerke und die schöne neue Welt der Transparenz dazu gehört – und Teil des Projekts ist, in dem ein Klima geschaffen wird, in dem die Mehrheit der Bürger glaubt, im 21. Jahrhundert hätten „wir selbst“ unsere Privatsphäre, ja das Recht auf sie, längst aufgegeben. Snowden fasst seine Diagnose unmissverständlich zusammen: „Wir bauen gerade an der größten Waffe zur Unterdrückung der Menschheit, die in der Geschichte je gebaut wurde.“ Er stellt sich damit gegen alle Presseerklärungen demokratischer Regierungen, etwa des US-Präsidenten Obama, der bis zum Fall Snowden der Darling der liberalen und linken Intelligenzia des Westens war. Im Film werden dessen Behauptungen, seine Regierung habe die Verletzungen der Datenschutzgesetze zum Zeitpunkt von Snowdens Veröffentlichungen längst untersucht, als dreiste Lügen entlarvt. Der Eindruck, den man von der Persönlichkeit Snowdens im Film erhalten soll, ist klar: Ein erstaunlich ruhiger, unemotionaler, vernünftig argumentierender junger Mann. Kein Getriebener, kein Ideologe, kein Paranoiker. Daneben zeigt der Film die Folgen: Prozesse zwischen Regierung und abgehörten Bürgern in den USA, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einem ihrer seltenen emotionalen Momente, die sie öffentlich zuließ – als sie ihrem Zorn darüber Ausdruck gibt, auch unter den Abhöropfern zu sein. Dass dies jenseits diplomatischer Protestroutine allerdings ohne Folgen blieb, ist gerade dem deutschen Publikum bekannt. „Citizenfour“ ist Teil der „New American Century“-Trilogie der Regisseurin, in der Poitras die Vereinigten Staaten der Post-9/11-Situation analysiert, die Folgen des „Kriegs gegen den Terror“ untersucht, und beschreibt, wie sich die Verteidigung der Demokratie gegen den Rechtsstaat, die Terroristenjagd gegen die Bürger richtet. Sie kontrastiert die Gespräche mit Snowden, die Enge des Hotelzimmers mit Nachrichtenbildern und öffentlichen Auftritten der Politiker, mit Bildern von der Hexenjagd gegen Snowden. Die wichtigste Neuigkeit kommt dann ganz am Ende: Es gibt angeblich noch einen NSA-Whistleblower außer Snowden, behauptet Glenn Greenwald. Diesem neuen Whistleblower zufolge stehen bereits über 1,2 Millionen Menschen auf einer geheimen „Watchlist“ der US-Regierung, Tendenz steigend – und alles mit Wissen und auf Befehl von Präsident Obama. Damit ist zumindest eine weitere Frage auch beantwortet: Ein Held oder ein Verräter? Beides. Beides ist hier das gleiche.
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