Eine verzweifelte Lehrerin sucht ihre ausgerissene 15-jährige Tochter in den Straßen von Berlin und trifft auf eine junge Obdachlose, die sich bei ihr einnistet. Es entspinnt sich ein kammerartiges Duell, bei dem sich die beiden wechselseitig ihre tiefsten Verletzungen zuwerfen. Dabei treten auch gesellschaftliche Risse immer stärker zutage. Ein intensives, überzeugend gespieltes Drama von mitunter klaustrophobischer Agonie, in dem alle Masken fallen und eine unüberbrückbare Einsamkeit zu Tage tritt.
- Sehenswert ab 14.
Töchter (2013)
Drama | Deutschland 2013 | 91 Minuten
Regie: Maria Speth
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Madonnen Film/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
- Regie
- Maria Speth
- Buch
- Maria Speth
- Kamera
- Reinhold Vorschneider
- Schnitt
- Maria Speth · Gergana Voigt
- Darsteller
- Corinna Kirchhoff (Agnes) · Kathleen Morgeneyer (Ines) · Hiroki Mano (Tanaka) · Fabian Hinrichs (Thomas) · Matthias Matschke (Ole)
- Länge
- 91 Minuten
- Kinostart
- 11.09.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Ein junges Leben endet auf kaltem Metall. Der Körper ist mit blauen Flecken übersät. Aus dem Off erklingt das Geräusch einer Säge, Blut strömt in den Abfluss, Organstücke landen in einem Glasgefäß. Die Lakonie der Sezier-Szene tut weh. Schmerzverzehrt ist auch das Gesicht der Frau, die gerade noch glaubte, ihre Tochter in der Pathologie wiedergefunden zu haben. Die 15-Jährige ist von zu Hause ausgerissen. Die Tote trug ihre Papiere bei sich. Erleichterung mischt sich mit quälender Ungewissheit. Die Mutter bringt es nicht über sich, in ihre Normalität als Lehrerin in Frankfurt zurückzukehren. Sie leiht sich einen Wagen und irrt durch ein verregnetes Berlin, das nichts von dem Image der angesagten Hipster-Stadt verrät. Die verlässlich konzentrierte Kamera von Reinhold Vorschneider filmt sie immer wieder am Steuer, eingeschlossen mit sich selbst und ihren kreisenden Gedanken, während die Welt hinter der Glasscheibe unermüdlich vorwärts rollt.
Regisseurin Maria Speth schickt die großartige Corinna Kirchhoff in Obdachlosenheime und verdreckte Bahnhofsvorhallen, vorbei an anonymen Bürokomplexen, lärmenden Schnellstraßen und verwahrlosten Jugendzentren. Sie ist eine entfernte Verwandte von Corinna Harfouch, die in „Auf der Suche“ (fd 40 739) von Jan Krüger in Marseille nach ihrem verschwundenen Sohn fahndete. Dann läuft ihr eine junge Frau vor die Räder, die im Alter ihrer Tochter sein könnte. Später stellt sich heraus, dass dies ein Trick war, um es sich auf Kosten von Fremden eine Zeit lang gut gehen zu lassen. Die junge Frau ist obdachlos, sprudelt über vor kapitalismuskritischen Theorien und gibt sich als Malerin aus, die sich dem Kunstmarkt verweigert. Die vermeintliche Unfallverursacherin erträgt ihre monologischen Provokationen in der Hoffnung, der Kontakt könnte sie bei ihrer Recherche weiterbringen.
Kathleen Morgeneyer verleiht ihrer kompromisslosen Bohemien-Figur eine Lebensnähe, die in ihrer pubertären Schroffheit und Selbstgerechtigkeit frösteln lässt. Jede Geste sitzt, jeder Blick bohrt sich tief ins Gedächtnis ein. Sie folgt der Zufallsbekanntschaft ins Hotel, nistet sich in ihrem Bett ein und denkt nicht daran, Abstand zu halten. Es entspinnt sich ein kammerspielartiges Duell zwischen den Frauen, in dem sie sich gegenseitig all die Verletzungen zuwerfen, die ihre Leben zu einer Zumutung gemacht haben. Die Ältere fühlt sich von der Flucht der Tochter gedemütigt. Die Jüngere leidet immer noch an der Ablehnung und Bevormundung durch ihre Mutter, die sie für verrückt gehalten hatte.
Tage vergehen, die Kamera lässt sich Zeit, der Raum verwandelt sich in eine Theaterbühne. Immer, wenn eine der beiden ihn verlässt, durchwühlt die andere deren Privatsachen oder stellt Nachforschungen an. Am Ende kommen sie sich viel zu nah. Sie mögen, schlagen, misstrauen und verachten sich. Ein Knoten widersprüchlicher Emotionen, den Maria Speth nicht entwirren möchte. Die Inszenierung hat eine Lösung parat, die wie die Obduktionsszene vom Anfang einen tiefen Schlag in die Magengrube versetzt. Die alten Verhaltensmuster siegen. Von der ungleichen Seelenchemie bleibt nur der Hauch einer kurzen Vertrautheit und neue Narben zurück.
Was dieser klaustrophobischen Konstellation im Vergleich zu Späths „Madonnen“ (fd 38 479) und „9 Leben“ (fd 40 443) an Dynamik fehlen könnte, gleicht die Regisseurin mit wie beiläufig eingestreuten Kurzauftritten von Irina Potapenko, Fabian Hinrichs oder Lars Mikkelsen aus, die in anderen Filmen so aufwühlende wie ambivalente Figuren gespielt haben. Ein schöner Einfall in einem intensiven Entblößungsdrama, in dem alle Masken fallen, die Chancen verpuffen und mit jedem Atemzug eine unüberbrückbare Einsamkeit zu spüren ist.
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