Vernunft ist nicht unbedingt eine Stärke der „Guardians“. Man muss schon ziemlich bescheuert sein, um mutwillig eine Prügelei mit einem der machtvollsten Schurken der Galaxis zu provozieren, wie es Muskelpaket Drax an einer Stelle tut. Oder wenn man wie Peter Quill, der Anführer des Teams, das Gelingen eines ohnehin waghalsigen Knastausbruchs wegen eines alten terrestrischen Sony-Walkmans gefährdet. Was sich in solchen Aktionen zeigt, ist ein drastischer Mangel an Kalkül zugunsten eines Überschusses an Herzblut: In Drax ist die Trauer um seine Familie, die von dem Tyrannen Ronan ermordet wurde, so übermächtig, dass er für eine Gelegenheit zur Rache alles riskiert. Und Quill hängt an dem Sony-Walkman und seinen alten Mix-Tapes, die von David Bowie über die Jackson 5 bis Marvin Gaye die irdischen 1970er- und 1980er-Jahre aufleben lassen, mit so zärtlicher Sentimentalität, dass er lieber seine Haut aufs Spiel setzt, als sie zurückzulassen.
Die Helden spiegeln insofern sehr schön das Filmprojekt, das ihnen gewidmet ist: Einen superteuren Effektfilm auf einer Vorlage zu errichten, die so gut wie keiner kennt, ihn von einem Troma-Abkömmling inszenieren zu lassen, der keinerlei Blockbuster-Erfahrung hat, und dann auch noch mit Chris Pratt einen Darsteller für die Hauptrolle zu verpflichten, der (noch) kein Superstar ist, ist ein Roulettespiel, das böse ins Auge gehen kann. Man denke an das Debakel mit „John Carter“
(fd 40 955), das Disney 2012 erlebte. Sich darauf zu beschränken, weiter am bereits etablierten „Avengers“-Franchise zu werkeln, wäre sicher die vernünftigere Alternative gewesen. Doch Marvel mochte die Drehbuchidee, die von der Nachwuchsautorin Nicole Perlman auf der Basis der Comic-Bücher von Dan Abnett und Andy Lanning entwickelt wurde, und setzte sie um. Mit Erfolg, denn das Wagnis ist aufgegangen: Offensichtlich reichte die Strahlkraft des „Cinematic Universe“, das seit „Iron Man“
(fd 38 713) entstanden ist, aus, um die Zuschauer in den USA massenweise dazu zu motivieren, den Machern auch auf diesem kapriziösen Ausflug die Treue zu halten. Sie werden für ihre Loyalität nicht enttäuscht: „Guardians of the Galaxy“ ist ein einziger großer Spaß, der mit schlafwandlerischem Gespür zwischen schauträchtigem Actionspektakel und figurenzentriertem Buddy-Movie, zwischen Heroismus und Humor balanciert.
Das Problem, eine gänzlich neue Erzählwelt mit völlig neuen Figuren einzuführen, lösen das Drehbuchteam und Regisseur James Gunn mit mustergültiger Eleganz. Ein Prolog skizziert Peter Quills irdische Vorgeschichte, das traurige Ende seiner Kindheit auf der Erde der 1980er-Jahre, und ein erstes Abenteuer lässt den erwachsenen Quill auf den Spuren von Indiana Jones ein geheimnisvolles Artefakt aus den Ruinen eines verödeten Planeten bergen. Das reicht, um den McGuffin des Films zu etablieren, die Rückkopplung des „Guardians“-Universums an die Erde zu sichern und Quill als sympathischen Helden einzuführen: Ein Weltraum-Glücksritter auf den Spuren von Harrison Ford und Nathan Fillion, gekreuzt mit einem Schuss Kevin Bacon („Footloose“ zitiert Quill selbst herbei), dessen Hüftschwung beim Tanzen genauso locker sitzt wie seine Schusshand und sein Mundwerk. Die weitere Handlung nützt das Gerangel mit dem Bösewicht Ronan um das Artefakt, in dem sich in Gestalt eines „Infinity Stones“ eine mächtige Energiequelle verbirgt, als Vorwand, um eine zeitlose Geschichte über Freundschaft zu erzählen. Mit der grünhäutigen Killerin Gamora, dem Kopfgeldjäger-Waschbären Rocket und seinem Kompagnon, dem Baumwesen Groot, sowie in Gestalt des Muskelberges Drax schart sich ein Fähnlein um Quill, das sich zunächst spinnefeind ist, dann aber zunehmend zusammenrauft. Verbunden werden die Fünf nicht zuletzt durch die Tatsache, dass sie alle durch leidvolle Verluste zu Sonderlingen und Outlaws geworden sind, die sonst nirgendwo richtig dazugehören.
Die Inszenierung tariert diese Geschichte zwischen spektakulären Weltraumschlachten, absurd-komischen Verbalscharmützeln und dem Mut zu großen Gefühlen, die stets haarscharf am Pathos vorbei manövrieren, wunderbar aus. Und bettet sie in eine Sci-Fi-Szenerie ein, wie man sie seit „Men in Black 3“
(fd 41 105) nicht mehr bunter und seit „Serenity“
(fd 37 357) nicht mehr abgewrackter gesehen hat. Regisseur James Gunn gewinnt dem Genre zwar keine neuen Facetten ab, begeistert aber mit vielen schönen, originellen Details und trifft souverän den Tonfall zwischen zeitloser Heldenfabel und zitierfreudiger, augenzwinkernder Nerdboy-Attitüde, der sich zum Markenzeichen der Marvel-Filme entwickelt hat.
Und wo bleiben bei dieser Weltraumparty die Avengers? In Gestalt des monströsen Thanos, der hier als Zunächst-Verbündeter Ronans auftritt und den man aus „Marvel’s The Avengers“
(fd 41 052) kennt, sowie durch den Collector, der in „Thor – The Dark Kingdom“
(fd 42 010) eingeführt wurde, werden kleine erzählerische Brücken in den Hauptstrang der Marvel-Welt geschlagen. Ob und was darüber in künftige Projekte fließen wird, bleibt abzuwarten. Man kann allerdings davon ausgehen, dass sich Iron Man und Peter Quill bestens verstehen würden.