„Können wir eine dieser Karten kaufen, eine, auf denen die Häuser der Stars eingezeichnet sind?“ So tönt es vom Rücksitz der Miet-Limousine, mit der sich Jerome, ein erfolgloser Schauspieler, in Los Angeles über Wasser zu halten versucht. Brandnarben haben sich in die helle Haut der jungen Frau auf der Rückbank gefressen, die Agatha heißt und weder wie eine typische Touristin noch wie eine Schauspielerin aussieht, aber immerhin eine zu kennen behauptet: Carrie Fisher aus „Star Wars“, die an einem Drehbuch über Brandopfer arbeitet, hätte Agatha bei ihren Recherchen auf Twitter kontaktiert.
Agatha strahlt vor Selbstbewusstsein, und doch scheinen sich die notdürftig kaschierten Narben, denen im Land der glatten Oberflächen etwas Skandalöses anhaftet, in ihr Innerstes gebohrt zu haben. Ganz so wie die Häuser in die Hollywood-Hills, durch die sich Jeromes Limousine hinaufwindet, bis zu der Stelle, an der einst das Anwesen der Familie Weiss stand. Von hier rühren Agathas innere Verletzungen, die einst als wohlbehütete Tochter der Weiss’ aufwuchs, ehe sie in der Psychiatrie landete, während ihr jüngerer Bruder Benjie mit einem Kinofilm namens „Bad Babysitter“ zum Kinderstar aufstieg.
Nun steht „Bad Babysitter 2“ mit Benjie in der Hauptrolle an; vorausgesetzt der verzogene 13-Jährige bekommt seinen präpubertären Drogenmissbrauch in den Griff. Dies zu kontrollieren, ist der Job von Benjies (und Agathas) Mutter, während Vater Stafford als Esoterik-Guru verspannten Hollywood-Stars wie der alternden Schauspielerin Havana Segrand die Komplexe wegmassiert. Derart im Karriere-Modus gefangen, entgeht der Familie zunächst, dass die Tochter zurückgekehrt ist und für eben diese Havana als persönliche Assistentin zu arbeiten beginnt.
Mit der Einführung von Havana, die zwischen dem 40sten und 50sten Lebensjahr auf der Karriereleiter hängen geblieben ist, setzt David Cronenbergs Hollywood-Satire ihren ersten Stich: Havana hält ihrem „Zerfall“ eine Kanonade der Selbstoptimierung entgegen, lauter Ersatz- und Aufputschmittelchen, die sie permanent wie am Rand eines Nervenzusammenbruchs agieren lassen. Der Körper hängt in den Seilen wie die Psyche am seidenen Faden, in einer Welt, in der das eigene Leben gegenüber dem Ideal, das man den anderen und sich selbst vorzugaukeln versucht, verblasst.
Tabletten und Therapien, Yogi-Tee und Yoga scheinen Havana vom endgültigen Absturz, aber auch vom Karrieresprung abzuhalten, der mit einem ganz besonderen Engagement nun endlich doch bevorstehen könnte: Im Remake eines Filmklassikers will Havana unbedingt jene Rolle spielen, die einst ihre verstorbene Mutter verkörperte, ein Hollywood-Star längst vergangener Glanztage. Dies ist Havanas verzweifelter Versuch, nach den Sternen zu greifen, auch wenn diese Sterne, wie in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ (fd 1149), schon längst erloschen und nur noch Irrlichter sind.
David Cronenbergs Karikatur beginnt und endet mit einer Kamerafahrt über antike Sternenkarten, ersonnen und gezeichnet, lange bevor Google Maps den virtuellen Ausflug in die Hollywood Hills ermöglichte. Cronenbergs Kartographie der Stadt der Engel ist keine des Ruhms, sondern eine der Fassaden, Abgründe und Ränkespiele. „Maps to the Stars“ ist der ironisch verheißungsvolle Titel einer bissigen Satire, die ihren ganz eigenen erzählerischen Sog in einem gesellschaftlichen Universum entwickelt, in dem andere Regeln herrschen, auch wenn sich am Ende das Gesetz der Schwerkraft durchsetzt: Es geht abwärts. Alles fällt. Für den Unterhaltungswert des Films gilt indes die gegenteilige Richtung.
Cronenbergs dunkel aufgeschäumte Seifenoper erinnert damit nicht von ungefähr an David Lynchs „Mulholland Drive“
(fd 35 220), auch ein Film über Schizophrenie und Hollywood, über Hoffnung, Enttäuschung und Zurückweisung in der Alptraumfabrik. Der kanadische Regisseur zeichnet die hässliche Fratze des Opportunismus in der um sich greifenden gesellschaftlichen Kälte nach. Der schwere Schicksalsschlag einer Konkurrentin sorgt dann schnell für falsche Betroffenheit und echte Freudensprünge. Überzeichnung, Wärme, Boshaftigkeit und Mitgefühl: alles existiert nebeneinander, überschlägt und wechselt sich ab. Ähnlich wie die Genres, die Cronenberg geschickt ineinander fließen lässt: Mit dem Auftauchen von Agatha, die irgendwo zwischen bemitleidenswert und bedrohlich changiert, bedient sich Cronenberg bei Elementen des Thrillers. Mit den unheimlichen Fantasmata, die Benjie, Stafford und Havana, nicht aber Agatha, als Ausdruck des schlechten Gewissens begegnen, wird das Familiendrama mit Ghost-Story-Anteilen versetzt. Dabei erscheint Agatha, obwohl ihr Innenleben von einem ganzen Arsenal an Psychopharmaka zusammengehalten wird, fast schon als Ruhepol im Chaos, als schwarzes Loch im moralischen Vakuum.
Im heißen Kalifornien ist es dabei kalt wie im Weltall, wenn Cronenbergs hervorragend besetzte Figuren im Würgegriff der Eitelkeiten zu ersticken drohen, während der Zahn der Zeit an Körpern und Karrieren nagt.