Hayao Miyazaki, der unvergleichliche Meister japanischer Mangas und Animationsfilme, hat angekündigt, dass „Wie der Wind sich hebt“ sein Abschied vom aktiven Filmemachen sei. Wenn dem wirklich so wäre, kann man sich kaum ein passenderes Objekt vorstellen. Hatte Miyazaki in seinen früheren Filmen den Hauptakzent auf märchenhafte Figuren und Geschichten gelegt („Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“), so wendet er sich diesmal historischen Figuren und Ereignissen zu, ohne seine ins Irreale entführenden Traumbilder und Glücksvorstellungen auch nur im Geringsten aufzugeben.
Hintergrund des Films ist die japanische Rüstungsindustrie vor und während des Zweiten Weltkriegs und die zentrale Figur des Flugzeug-Designers Jiro Horikoshi, der bei der Entwicklung der zum Angriff auf Pearl Harbor verwendeten Jagdflugzeuge eine wichtige Rolle spielte. Das Fliegen hat auf Miyazaki immer schon eine große Faszination ausgeübt. Er hat kleine Mädchen, große Schlösser und sogar Schweine fliegen lassen. Diesmal lässt er einen kleinen Jungen seine kindlichen Fantasien vom Fliegen verwirklichen – und die bittere Realität der Welt verwandelt sich unter Miyazakis Zeichenstift in eine Apotheose des Lebens, auch wenn das sich manchmal von seiner schlimmsten Seite zeigt.
Der Film beginnt mit den Träumen des kleinen Jiro, der mit Hilfe des italienischen Flugmaschinen-Designers Gianni Caproni (ebenfalls eine historische Figur) fantastische Kreationen vom Dach seines väterlichen Hauses über die bunte Landschaft seiner Kindheit startet. Zu kurzsichtig, um selbst fliegen zu können, wendet sich Jiro dem Ingenieursstudium zu. Auf dem Weg nach Tokio mischen sich im Film zum ersten Mal die traumhaften und die realistischen Perspektiven, die fortan die Handlung bestimmen: Jiro gerät in das verheerende Erdbeben von Kanto (1923) und seine alles vernichtende Feuersbrunst; aber er trifft auch auf die zarte, bezaubernde Naoko, die viele Jahre später seine Frau wird.
Die Inspiration zur romantischen Liebesgeschichte, die im Gegensatz zum immer stärker dominierenden Kriegshintergrund steht, hat Miyazaki im Werk des früh verstorbenen Dichters Tatsuo Hori gefunden. Von dem an Tuberkulose erkrankten Autor stammt die Kurzgeschichte „Kaze Tachinu“ („Wie der Wind sich hebt“), dessen Heldin ihre letzten Lebensjahre in einem Sanatorium verbringt. Je mehr sich Jiros Leben mit den Fortschritten der Rüstungsindustrie und dem Eintritt Japans in den Krieg verwickelt, umso düsterer werden die Farben, in denen seine Geschichte erzählt wird. Sepia-Töne ersetzen die Munterkeit des von kindlichen Träumen und jugendlichem Ehrgeiz bestimmten Anfangs; die Farbe Rot, der bei Miyazaki stets eine besondere Funktion zukommt, bleibt für wenige, akzentsetzende Augenblicke reserviert.
„Wie der Wind sich hebt“ trug dem japanischen Animationskünstler in seiner Heimat den Vorwurf unpatriotischen Verhaltens ein und in den USA gelegentlich Kritik an der sympathischen Charakterisierung eines Ingenieurs, der zu den Kamikaze-Angriffen auf Pearl Harbor beigetragen hat. Es ist aber kaum zu übersehen, dass es Miyazaki um die Kontrastierung zweier Welten geht, die so oder ähnlich das Leben zahlloser Menschen seiner Generation beeinflusst haben. Der Film ist die Story „eines Träumers, der seine Integrität in einer instabilen Welt bewahren möchte“ (Max Nelson). Er kulminiert deshalb nicht in den Bildern vom Krieg, sondern in einer Allegorie auf die Balkonszene aus Shakespeares „Romeo und Julia“, in der die Liebenden sich hier gegenseitig Papierflugzeuge zuwerfen, und in der beziehungsreichen, aus Hitler-Deutschland importierten Figur eines Hans Castorp, der geradewegs aus Thomas Manns „Der Zauberberg“ entliehen ist und zumindest in der amerikanischen Fassung von Werner Herzog gesprochen wird. Selten hat sich ein Film so konsequent als Verbildlichung eines an seinen Anfang gestellten Mottos erwiesen, eines Zitats aus einem Gedicht von Paul Valéry: „Le vent se lève – Il faut tenter de vivre“ („Der Wind erhebt sich – Man muss versuchen zu leben“).