Jack und das Kuckucksuhrherz

Animation | Frankreich/Belgien 2013 | 93 Minuten

Regie: Mathias Malzieu

Im 19. Jahrhundert droht nahe Edinburgh einem Neugeborenen der Tod, weil sein Herz in der Eiseskälte erfriert. Seine Ersatzmutter ersetzt es durch eine Kuckucksuhr, die fortan seinen Lebensrhythmus bestimmt. Doch der Heranwachsende darf sich nicht verlieben, was prompt geschieht, sodass er auf der Suche nach der Angebeteten sein Leben aufs Spiel setzt. Fulminant erzählter, gestalterisch eindrucksvoller Animationsfilm als Mischung aus Liebesgeschichte und Fantasy-Musical, die sich aus der Kraft der Bilder und Klänge, Farben und Bewegungen speist und den Gesang als eigenständige Erzählweise einbezieht. Der Film überzeugt zudem als Appell gegen Intoleranz und Ausgrenzung. (Songs O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
JACK ET LA MÉCANIQUE DU CŒUR
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
EuropaCorp/Duran/France 3 Cinema
Regie
Mathias Malzieu · Stéphane Berla
Buch
Mathias Malzieu
Musik
Dionysos
Schnitt
Soline Guyonneau
Länge
93 Minuten
Kinostart
03.07.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Animation
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Universum (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
„Am 16. April 1874 schneit es auf Edinburgh. Eine unnatürliche Kälte legt die Stadt lahm.“ So beginnt der Roman „Die Mechanik des Herzens“ (2007) von Mathias Malzieu, in dem es anfangs so bitterkalt ist, „dass Vögel im Flug erfrieren und tot vom Himmel fallen. Ihr Aufprall ist unheimlich sanft für ein Geräusch des Todes. Es ist der kälteste Tag aller Zeiten. Heute ist der Tag, an dem ich geboren werde.“ Es sind genau diese symbolisch aufgeladenen Extreme von Leben und Tod, die auch die Verfilmung von Malzieus fantastischem Kunstmärchen prägen. Wobei sich die literarische Erzählweise auf virtuose Weise mit der Kunst des Bewegtbildes verbindet – denn „Jack und das Kuckucksuhrherz“ ist ein fulminant erzählter Animationsfilm, der überbordend einfallsreich eine eigene visuelle Welt kreiert, fließend elegant, romantisch schön bis zum Kitsch, mal federleicht-fragil, mal bombastisch-pompös – und bei aller Bitterkeit hinreißend komisch. So kreist zu Beginn ein frierender Vogel über der Stadt, um im Flug gegen das (virtuelle) Kameraobjektiv zu prallen: Auslöser für die erste von vielen symphonischen Rock-Hymnen, mit der die „altmodische“ Fabel zum modernen Musical mutiert. Der Ich-Erzähler des Romans überlebt nur knapp seine Geburt in einem einsamen Haus auf einer Klippe, in dem die schöne Madeleine als kuriose Mischung aus Ärztin, Hebamme und Mechanikerin lebt. Als sie feststellt, dass die Kälte das Herz des Neugeborenen hat erfrieren lassen, findet sie umgehend Ersatz: eine altmodische Kuckucksuhr, die sie in dem Baby in die Brust pflanzt und die fortan den Lebenstakt des Jungen vorgibt. Jack wächst in Madeleines Obhut heran, behütet, beschützt und abgeschirmt von der Welt, die dem Kind aber von Jahr zu Jahr begehrenswerter erscheint. Neugierig und lebenshungrig drängt Jack auf Freiheit und Daseinserkundung, wobei er zunehmend die Bedeutung jener drei Gesetze vernachlässigt, die sein Leben bestimmen: nie am Zeiger seines Kuckucksuhrherzens drehen, stets sein Temperament in Zaum halten, sich niemals verlieben, denn dies wäre sein sicherer Tod. Genau das aber geschieht bei Jacks erstem Ausflug in die Stadt, als er in einem Hinterhof die schöne Acacia zu den Klängen einer Drehorgel singen hört. Die Weichen seines Lebens sind gestellt. Liebe und Verzicht, unerfüllte Sehnsucht, das Streben nach Glück und äußerer wie innerer Freiheit – all dies prägt fortan Jacks Lebensweg, den der Film als hinreißende Mischung aus Fantastik, Musik und Gesang nachzeichnet, als eleganten Bilderstrom, in dem alles ineinander fließt und miteinander in Beziehung steht, wie die gut geölte Mechanik in Jacks Kuckucksuhrherz, in dem die Gefühle im permanenten Aufruhr sind. Die Handlungslogik resultiert allein aus der Kraft der Bilder und Klänge, Farben und Bewegungen. Auf die bedrückende Welt der Schule, in der Jack zum gequälten und verbitterten Außenseiter wird, folgt seine Flucht Richtung Süden, wo er im warmen Spanien in einem Kuriositätenzirkus endlich Acacia wiederbegegnet, begleitet vom jungen Georges Méliès, dessen kinematografische Erfindungen die Ereignisse vorantreiben und zugleich spiegeln. Schier unendlich erscheint die Zahl der filmischen und musikalischen Vorbilder, die man assoziiert: Tim Burton und Baz Luhrmann, Steam-Punk und „Das Phantom der Oper“, und doch erkennt man schnell, dass der Film insgesamt etwas sehr Singuläres innerhalb des europäischen Animationsfilms ist, bei dem der Gesang als autonome Ausdrucksform triumphiert. Das Ganze ist wohltuender Weise nicht nur artifizielles „l’art pour l’art“, sondern streift glaubwürdig Themen wie Mobbing, Ausgrenzung und Intoleranz. Geradezu hymnisch appelliert der Film ans Verständnis für Außenseiter und Andersartigkeit: Die liebenswerten Jahrmarkt-„Freaks“ des wärmenden Südens triumphieren über missgünstige Neider und feiern sanft ein harmonisches Miteinander voller Nachsicht und Respekt.
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