Es ist ein Gänsehaut-Moment, wenn Paul Potts zum ersten Mal auf der Bühne steht und zu singen anfängt. Dabei geht es noch nicht um den legendären Auftritt bei der „Britain’s Got Talent“-Show, sondern um einen Talentwettbewerb in einer Kneipe in der walisischen Hafenstadt Port Talbot. Das Publikum ist der Albtraum jeder sensiblen Künstlerseele: ein grölender, proletarischer Haufen, der nach einer harten Woche mit einem Bier in der Hand die Sau raus lassen will. Unter den Zuschauern ist auch der derbe „Working Class Hero“, der den pummeligen Opernliebhaber schon als kleinen Jungen triezte. Vor diese feindliche Horde tritt Potts, schlotternd vor Angst, verwundbar, in voller, lächerlicher Bajazzo-Montur. Und singt eine Arie aus Ruggero Leoncavallos Oper, als ginge es um sein Leben (was in gewisser Weise ja auch der Fall ist). Diese Darbietung, die sich als gänzlich ungeschützte Preisgabe entpuppt, macht etwas mit dem Publikum; es wird sozusagen gezähmt: Die hochemotionale Musik, mit Inbrunst zum Leben erweckt, erregt Mitgefühl, wo man sich zuvor auf Kosten des „Opferlamms“ auf der Bühne amüsieren wollte.
Bei Castingshows geht es nicht oder zumindest nicht nur darum, Talente zu entdecken, sondern vor allem ums lustvolle Fremdschämen, wenn sich die Kandidaten zum Affen machen; entsprechend werden bei solchen Shows nur ziemlich selten „Superstars“ geboren, meist reicht es allenfalls zum Boulevard-Klatsch-Sternchen mit schnellem Verfallsdatum. Auf die Idee, einen Film über Alexander Klaws, Elli Erl oder Mark Medlock zu machen, käme denn auch wohl niemand: Das öffentliche Interesse an den Gewinnern früherer Staffeln von „Deutschland sucht den Superstar“ hält sich sehr in Grenzen. Dass dem Briten Paul Potts, der 2007 mit der Puccini-Arie „Nessun dorma“ das britische Pendant der Castingshow gewann, nun ein Biopic gewidmet wurde, liegt wohl weniger daran, dass Pottsʼ Karriere so viel glanzvoller verlaufen wäre – zwar ist er weiter als Sänger auf Tournee und hat 2013 ein „Greatest Hits“-Album veröffentlicht, zum veritablen Opernstar hat es jedoch stimmlich nicht gereicht. Was die Figur Paul Potts allerdings auszeichnet, ist eine „Backstory“, in der sozusagen alle Träume kulminieren, die das Castingshow-Phänomen befeuern: Ein unauffälliger, dicker Zeitgenosse, der aus einfachen Verhältnissen kommt, als Kind gemobbt wurde, einem Allerweltsjob nachgeht und immer wieder Schicksalsschläge einstecken muss, wird schlagartig berühmt und reich. Regisseur David Frankel („Der Teufel trägt Prada“, fd 37 827) erzählt diese Story mit Gusto und guten Darstellern; das Motto liefert im Prolog die Erzählerstimme der Hauptfigur, die selbstironisch ihre wechselvolle Lebensgeschichte als Möchtegern-Opernsänger selbst zur Oper erklärt.
Tatsächlich entfaltet sich der Film als eine Art „opera buffa“, die große Gefühle und tragische Höhepunkte mit einer Brise Kitsch und Sentimentalität, aber auch mit komödiantischem Augenzwinkern und Slapstick durchdekliniert und sie ins britische Arbeiter-Milieu implementiert. Den eigentlichen Höhepunkt der „Potts-Story“, den Auftritt bei Britain’s Got Talent, verfrachtet das Drehbuch ganz ans Ende; viel mehr als der kometenhafte Aufstieg interessieren der steinige Weg zuvor und Pottsʼ spannungsreiche Beziehung zu seinem Working-Class-Umfeld, womit der Film an Vorbilder wie „Ganz oder gar nicht“
(fd 32 818) und „Billy Elliot – I Will Dance“
(fd 34 566) erinnert. Ähnlich wie diese punktet er mit Darstellern, die nicht nach gelackter Hollywood-RomCom aussehen, dafür aber schöne Charakterporträts liefern können. Das gilt besonders für den charismatischen Hauptdarsteller James Corden, der bei aller komödiantischen Zuspitzung stets dafür sorgt, dass Potts als sympathisch-verletzliche Identifikationsfigur funktioniert; neben ihm glänzen vor allem Colm Meaney und Alexandra Roach: Ersterer spielt Potts‘ Vater als bodenständigen Antipoden, an dem sich der Sohn immer wieder reiben muss; letztere versprüht als Potts‘ „love interest“ und spätere Ehefrau so viel Charme und Warmherzigkeit, dass die Beziehung zwischen ihr und Potts als emotionales Zentrum wunderbar funktioniert.
Zugegebenermaßen bleibt der Film inhaltlich nur ein weiteres Glied in der Vermarktungskette der Potts-Story, webt mit am Mythos vom Aufstieg eines Underdogs und blendet aus, was in diesen nicht reinpasst (z.B. dass Potts vor seinem Durchbruch nicht „nur“ ein einfacher Handyverkäufer war, sondern studierter Philosoph). Man darf sich von diesem Film keinen genaueren Blick auf den Mann hinter dem Medienphänomen erwarten: „One Chance“ erzählt ein modernes Märchen nach – das allerdings sehr unterhaltsam. Und auf eine Weise, die das Prinzip der Castingshows auf sympathische Weise unterwandert: dadurch, dass die Figuren nicht vorgeführt, sondern voller Empathie gezeichnet werden, und dadurch, dass weniger das Streben nach Ruhm und Erfolg idealisiert wird als vielmehr Pottsʼ aus der Art geschlagene Liebe zur Oper. Sie ist in „One Chance“ durchaus nicht austauschbar, sondern wird „magisch“ aufgeladen als hochartifizielle, zeitlose und emotionalisierte Gegenwelt zum banalen Alltag, die Potts wie ein Licht immer wieder den Weg aus den eigenen Lebensdunkelheiten weist. Dass es Frankel schafft, diesen idealistischen Kunstbegriff in eine Erzählung zu packen, die in ihrer Figurenzeichnung und sozialen Verortung durchaus bodenständig bleibt, ist keine schlechte Leistung.